In Bern ist es «Wie über Wolken»
Die jüdische Gemeinde hat eine lange Tradition in Bern. Ein neues Buch, mitherausgegeben vom Berner Professor René Bloch, arbeitet die Geschichte der Juden in der Stadt und Region Bern zwischen den Jahren 1200 und 2000 auf. An der gut besuchten Buchvernissage erhielt das Werk viel Lob.
«Keine Geschichte über die Juden kann geschrieben werden, ohne das Unfassbare zu vergegenwärtigen, das das jüdische Volk zu erleiden hatte», sagte Rektor Martin Täuber in seiner Begrüssung an der Buchvernissage. Er erzählte, wie die Juden nicht nur in Deutschland unter Verfolgung zu leiden hatten, sondern dass auch die Juden- und Flüchtlingspolitik in der Schweiz während des Zweiten Weltkriegs teils antisemitisch geprägt war. So bildete der Friedhof der jüdischen Gemeinde Bern den Ort des Schicksals für ein junges Paar aus Belgien, das auf der Flucht war und die Nacht dort verbrachte. Es wurde von der Polizei aufgegriffen und über die Grenze geschickt – in den sicheren Tod.
Im Buch «Wie über Wolken» arbeiten 25 Autorinnen und Autoren die Geschichte des Judentums in Bern auf. (Bilder: Sandra Flückiger)
Geschichten wie diese sind auch im soeben erschienenen Buch «Wie über Wolken» ein Thema. Das Werk über das Judentum in Bern ist aber viel umfassender. «Die historischen Kapitel werden ergänzt durch Streiflichter, die manches beleuchten, das bisher kaum bekannt war», so René Bloch, Professor an der Universität Bern und Mitherausgeber. Als Beispiele nannte er 30 hebräische Handschriften in der Burgerbibliothek, die Spuren jüdisch-russischer Studierender an der Uni oder auch den langen Weg bis zur öffentlich-rechtlichen Anerkennung der jüdischen Gemeinden in Bern und Biel im Jahr 1997.
Bern als glückliches Zuhause
Das Buch erhielt an der Vernissage viel Lob, so etwa vom Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG), von der Jüdischen Gemeinde Bern sowie auch von Regierungsseite: Einen «Meilenstein zur jüdischen Geschichte und Kultur der Stadt und Region Bern» nannte es Christoph Miesch, Generalsekretär der Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion. Das «eindrückliche und wissenschaftlich fundierte» Gesamtwerk gebe einen umfassenden Überblick über die Tradition und Stellung der jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger in Bern. Es zeige Bern als Refugium für Flüchtlinge und als glückliches Zuhause für Immigranten, so Miesch. Damit spielte er auf den Titel «Wie über Wolken» an – ein Zitat aus einem Brief der deutschen Lyrikerin Else Lasker-Schüler, in dem sie in einer Metapher ihre heitere Stimmung beim Flanieren durch die ruhige Stadt Bern schildert.
Professor René Bloch ist Herausgeber und einer der Autoren des allgemein verständlichen und wissenschaftlich fundierten Buches.
«Wir wollten die umfassende Geschichte des Judentums in Bern erarbeiten und allgemein verständlich gestalten», sagte René Bloch vom Institut für Judaistik. Ein Buch von etwa 240 Seiten hätte es werden sollen, ergänzte Mitherausgeber Jacques Picard von der Universität Basel. Entstanden ist ein Werk von rund 530 Seiten, an dem 25 Autorinnen und Autoren mitgearbeitet haben. Es ermöglicht einen historischen Rückblick bis ins Jahr 1200 und damit in eine Zeit, als die Juden der Willkür christlicher Herrscher unterworfen waren. In doppelter Hinsicht sei man damals auf sie angewiesen gewesen, beispielsweise nach den Stadtbränden «als Sündenböcke und Geldleiher», sagte Bloch in der Aula der Universität Bern, wo sich das Publikum zur Buchvernissage zahlreich eingefunden hatte.
Rektor Martin Täuber hielt seine Begrüssungsansprache in der Aula der Uni Bern vor viel Publikum.
Die «ruhmvolle» Rolle der Uni Bern
Eine nicht unwesentliche Rolle in der Geschichte des Berner Judentums spielt die Universität Bern, denn sie war offener als andere Universitäten: So war der deutsche Physiologe Gustav Valentin 1836 der erste ungetaufte Professor in Europa und die russische Philosophin Anna Tumarkin zu Beginn des 20. Jahrhunderts die erste Professorin Europas und damit die erste Frau, die Doktorate abnehmen durfte. In Bern hat überdies der Philosoph und Schriftsteller Walter Benjamin doktoriert und Albert Einstein die fruchtbarste Zeit seines wissenschaftlichen Lebens erlebt. «Alle diese Persönlichkeiten sind von grosser Bedeutung für unsere Universität», so Rektor Täuber. Er erinnerte aber auch daran, dass für viele namenlose Studierende und Wissenschaftler hier der Traum von einem Studium in Erfüllung gegangen sei. Die Uni habe in diesem Fall vielleicht eine weniger ruhmvolle, dafür aber umso wichtigere Rolle gespielt. «Freiheit und Sicherheit sind gesellschaftliche Güter, die wir nie als selbstverständlich annehmen sollten und die es zu schützen gilt», sagte Täuber abschliessend, als er den Autoren zu ihrem «wichtigen und beeindruckenden Werk» gratulierte.
Die sichtlich stolzen Herausgeber René Bloch und Jaques Picard mit ihrem Werk.