Wie soll die Zweitwohnungsinitiative umgesetzt werden?
Mehrere Institute der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bern organisierten ein Symposium zur schweizerischen Zweitwohnungsgesetzgebung. Im Zentrum stand der Vergleich mit der entsprechenden Gesetzgebung in Tirol. Dabei präsentierten und diskutierten Experten aus Österreich und der Schweiz die sich bezüglich Zweitwohnungen stellenden Fragen und deren rechtliche Regelungen.
In der Schweiz gibt es heute rund 500‘000 Zweitwohnungen. Nach einem jahrzehntelangen, ungebremsten Bauboom in den Tourismusregionen sind Ferienwohnungen und die damit einhergehenden negativen Begleiterscheinungen immer mehr in die Kritik geraten. Am 11. März 2012 haben Volk und Stände die Zweitwohnungsinitiative mit 50,6 Prozent Ja-Stimmen und 13,5 Ständen angenommen. Die Ungewissheiten über die öffentlich- und privatrechtlichen Folgen haben in vielen Gemeinden zu einer Flut von Baugesuchen geführt. Es stellt sich die zentrale Frage, ob und gegebenenfalls bis wann Zweitwohnungen noch bewilligt und gebaut werden dürfen.
Nun stehen die Gesetzgebungsarbeiten in National- und Ständerat unmittelbar bevor: Die Behandlung der Vorlage im Ständerat ist für die Junisession 2014 vorgesehen. Aus diesem aktuellen Anlass veranstalteten das Zivilistische Seminar, das Institut für Öffentliches Recht sowie das Institut für Notariatsrecht und Notarielle Praxis der Universität Bern ein Symposium zur schweizerischen Zweitwohnungsgesetzgebung und zu den entsprechenden gesetzlichen Regelungen in Tirol, den sogenannten Grundverkehrsbeschränkungen. Zu diesem Anlass begrüsste Prof. Dr. Stephan Wolf, Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bern, die vorwiegend aus der Praxis stammenden Teilnehmer des Symposiums.

Lehren aus der Situation in Tirol ziehen
Ziel des Symposiums war es, die bereits seit längerer Zeit in Tirol etablierte Regelung zur Beschränkung von sogenannten Freizeitwohnsitzen mit der in der Schweiz noch zu schaffenden Ausführungsgesetzgebung zu vergleichen, Erfahrungen auszutauschen und Lehren daraus zu ziehen. Die Experten der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Innsbruck – Prof. Dr. Werner Schroeder, Prof. Dr. Karl Weber und Prof. Dr. Martin Häublein – referierten zu diesbezüglichen Fragestellungen aus dem Europarecht, dem öffentlichen Recht und dem Zivilrecht. Einblicke aus der Sicht eines Praktikers lieferte zudem der in Innsbruck tätige Rechtsanwalt Dr. Axel Fuith.
Die Zweitwohnungsinitiative und die dadurch entstandene Rechtslage waren Gegenstand von Vorträgen schweizerischer Fachvertreter. Es referierten Stephan Scheidegger, Fürsprecher, Betriebsökonom und stellvertretender Direktor des Bundesamtes für Raumentwicklung (ARE), sowie zwei ehemalige Doktoranden und Assistenten an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bern, Dr. Fabian Mösching, Rechtsanwalt, und Dr. Aron Pfammatter, Rechtsanwalt und Notar.
Liest Uschi Glas ihr Skript oder einen Krimi?
Für die Definition als Freizeitwohnsitz ist in Tirol nicht entscheidend, ob eine Erst- oder Zweitwohnung vorliegt, sondern ob die Wohnungen erwerbswirtschaftlich genutzt werden, als ständiger Wohnsitz dienen oder eben nicht. Diese Regelung ist gemäss den Referaten kompliziert und sieht viele weitreichende Ausnahmen vor, was Umgehungen ermöglicht. Anschaulich zeigte dies das Beispiel der Schauspielerin Uschi Glas: Ihr wurde ein Freizeitwohnsitz erlaubt mit dem Argument, sie nutze die Wohnung als Arbeitswohnsitz, um ihre Rollen einzustudieren. Würde sie allerdings statt den Drehbüchern Krimis lesen, dann läge ein Freizeitwohnsitz vor.

Die österreichischen Experten formulierten auch einige Vorschläge für den schweizerischen Gesetzgebungsprozess. So sei es ratsam, eine Regelung und den entsprechenden Anwendungsbereich möglichst weit, dafür die Ausnahmen eng zu formulieren. Es brauche handhabbare Gesetze, welche die mit dem Vollzug betroffenen Behörden nicht überforderten.
Die schweizerischen Referenten waren der Ansicht, dass es noch viele Fragen zu klären gebe, unter anderem jene, wie lange ein Bett «kalt» sei und ab wann es «warm» werde. Es gelte eine austarierte Lösung zu finden, um Kollateralschäden wirtschaftlicher Art möglichst gering zu halten. Diesbezüglich beginne nun eine intensive Diskussion, welche die Eidgenössischen Räte mindestens eineinhalb Jahre beschäftigen werde. Das Ausführungsgesetz wird nach Einschätzung von Stephan Scheidegger nicht vor 2018 in Kraft treten.
«Einen gut schweizerischen Kompromiss finden»
An der abschliessenden Podiums- und Plenumsdiskussion unter der Leitung von Prof. Dr. Andreas Lienhard wurden die Ursachen für die Grundverkehrsbeschränkung, respektive Zweitwohnungsgesetzgebung, die Ausgestaltung der gesetzgeberischen Massnahmen sowie die Vollzugserfahrungen und -prognosen von Tirol und der Schweiz beleuchtet. Dabei flossen auch ökonomische und vollzugspraktische Überlegungen mit ein. Die Diskussion machte unter anderem deutlich, dass eine starre Einheitslösung der Realität der unterschiedlichen kantonalen Gegebenheiten nicht gerecht werden kann und die Suche nach verhältnismässigen Lösungen, welche keine Vollzugsprobleme aufwerfen, eine grosse Herausforderung sein wird.
Die Teilnehmer waren sich einig: Es gelte, einen gut schweizerischen Kompromiss zu finden, welcher die unterschiedlichen Interessen der Bergkantone und der Tourismusbranche mit den Anliegen der Initianten vereine. Das Ziel sei, keine symbolische Gesetzgebung zu schaffen und die komplizierte Regelung von Tirol nicht zu toppen. Man sei derzeit daran Lösungen zu finden, um in einem schwierigen politischen Umfeld Volkentscheide mit knappen Mehrheiten umzusetzen.