Wer reguliert das Internet?
Die Frage nach der «Internet Governance», also wer das Internet kontrolliert, provoziert politische Auseinandersetzungen. Ein internationaler Konsens wurde an der «NETmundial»-Konferenz in Brasilien gesucht. Mira Burri vom World Trade Institute (WTI) der Uni Bern war dabei und erklärt, was erreicht wurde und was noch zu tun ist.
Die Enthüllungen von Edward Snowden haben das System der globalen Internet Governance erschüttert. Bisher gibt es mehrere staatliche und nicht-staatliche Akteure, welche die Regeln für das Internet bestimmen und diverse Aspekte regulieren. So spielt etwa die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) eine zentrale Rolle bei der Verwaltung von Internet-Ressourcen wie Domänennamen. Aber auch Prä-Internet-Organisationen wie die International Telecommunication Union (ITU) und die Welthandelsorganisation (WTO) sind von Bedeutung. Die Enthüllungen von Snowden führten zu konkreten Anstrengungen, grundlegende Werte wie Sicherheit und Privatsphäre im Cyberspace zu schützen. Ein solcher Effort war die Internet-Konferenz «NETmundial» (siehe Kasten), die diesen Frühling in São Paulo stattfand.
«uniaktuell»: Wo liegt die Problematik bei der Regulierung des Internets?
Mira Burri: Die Debatten sind besonders kontrovers, wenn es darum geht, wie über Regeln entschieden wird. So ist etwa die ICANN keine konventionelle internationale Organisation im Sinne des Völkerrechts, sondern ein privates gemeinnütziges Unternehmen nach kalifornischem Recht. Als Gegenpol dazu wurden sogenannte Multistakeholder-Governance-Ansätze, bei denen jede interessierte Partei in den Entscheidungsprozess einbezogen wird, entwickelt. Deren Legitimität ist jedoch aus der konventionellen Sicht des Nationalstaats umstritten.
Die «NETmundial»-Konferenz wurde allerdings genau mit diesem Multistakeholder-Ansatz durchgeführt.
Ja, der Prozess war offen für alle. Es nahmen einerseits Regierungsvertreter teil, andererseits aber auch Wissenschaftler, Expertinnen, Aktivisten und andere Vertreterinnen der Zivilgesellschaft und der Industrie. Die Konferenz bestätigte, dass Entscheidungen mit dem Multistakeholder-Ansatz möglich sind. Sie war aber auch eine einzige und besonders intensive Übung im Kompromissfinden.

Was kam denn dabei heraus?
Die Ergebnisse der Konferenz wurden unterschiedlich interpretiert – manche sind euphorisch, andere enttäuscht. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo in der Mitte. Im Abschlussdokument, einer elfseitigen gemeinsamen Erklärung («Multistakeholder Statement»), einigten sich die Parteien über die Grundprinzipien der Internet Governance. Die Teilnehmer bekennen sich in erster Linie zu den zentralen Menschenrechten wie Meinungsfreiheit und Vereinigungsfreiheit sowie zum Schutz der Privatsphäre als Grundlage der jetzigen und künftigen Internet Governance. Weitere wichtige Punkte sind Transparenz und Offenheit bei der Regulierung und der Entwicklung von Systemen sowie Respekt für die kulturelle und linguistische Vielfalt.
Gibt es auch konkrete Massnahmen?
Das Internet Governance Forum (IGF) – eine globale Diskussionsplattform für Netz-Angelegenheiten – soll mehr Einfluss gewinnen, während die ICANN internationaler wird. Der Multistakeholder-Ansatz wurde somit deutlich gestärkt und gewissermassen neu legitimiert. Man muss aber betonen, dass die «NETmundial»-Erklärung rechtlich in keiner Weise bindend ist. Viele der Prinzipien bleiben auf einer sehr allgemeinen Ebene und gehen nicht viel weiter als bereits existierende Menschenrechtskonventionen. Die Verantwortlichen betonten, dass das Abschlussdokument ein Kompromiss ist und nicht perfekt, «aber gut genug, um gut zu sein».
Was ändert sich nun für mich als Internet-Nutzerin?
In der Tat ändert sich nichts. Die Internet-Nutzer werden keine Modifikationen technischer oder rechtlicher Natur verspüren. Man könnte aber behaupten, dass eine gewisse Rechtsicherheit geschaffen wurde.

Was bleibt noch zu tun?
Vieles, kleinere und grössere Herausforderungen. Die «NETmundial»-Konferenz liess zum Beispiel das klare Verbot der Online-Überwachung oder die eindeutige Verankerung der Netz-Neutralität offen. Auch die Frage nach der juristischen Zuständigkeit von Staaten in der Internet-Umgebung blieb unbeantwortet.
Welches sind die nächsten Schritte?
Die USA erklärte nach der Snowden-Affäre ihre Absicht, die Kontrolle über die ICANN aufzugeben. Das künftige Management soll einer multinationalen und aus diversen Bereichen zusammengesetzten Institution unterstehen. Die genaue Form und Funktion dieses Gremiums sind aber unklar, ebenso wie der Übergang vom jetzigen System vollzogen werden soll. Die internationale Gemeinschaft hat bis September 2015 Zeit, dies zu definieren. Ich bin gespannt, zu sehen, inwiefern Nationalstaaten bereit sind, in diesem Prozess gewisse Machtpositionen aufzugeben und sich für das Multistakeholder-Modell zu verpflichten.
Die Konferenz
Die «NETmundial» Internet-Konferenz wurde von Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff, die selbst Opfer von NSA-Aktivitäten war, in Zusammenarbeit mit dem ICANN-Präsidenten Fadi Chehadé organisiert. Die Forumsagenda visierte als Ergebnis einen Konsens zu den universalen Prinzipien des Internets, zu den institutionellen Formen der Internet Governance sowie zur Erschaffung von Mechanismen an, die sich auch den neuen Herausforderungen des Internets stellen können.