Nebst Karies sind auch Säureschäden problematisch

Überempfindliche Zähne und säurebedingte Zahnschäden sind in Europa weiter verbreitet als bisher gedacht. Zu den Risikofaktoren gehören etwa Sodbrennen, Softdrinks und Energy Drinks. Dies zeigt die erste länderübergreifende Studie, an der Adrian Lussi von den Zahnmedizinischen Kliniken der Universität Bern beteiligt ist.

Von Sandra Flückiger 23. Mai 2014

Karies tritt in den letzten Jahrzehnten in der Schweiz und in Europa deutlich weniger häufig auf. «Grund dafür ist das erhöhte Gesundheitsbewusstsein. Die Zahnhygiene hat sich verbessert und der Gebrauch von Fluoridzahnpasten ist weit verbreitet», erklärt Adrian Lussi, Direktor der Zahnmedizinischen Kliniken Bern (zmk bern). Durch die veränderten Ernährungs- und Lebensgewohnheiten hätten jedoch andere Probleme an Bedeutung gewonnen, insbesondere überempfindliche Zähne und säurebedingte Zahnschäden. Wie häufig diese vorkommen und welche Risikofaktoren es gibt, hat Adrian Lussi mit anderen Forschenden nun in zwei Studien erstmals europaweit untersucht.

Überempfindliche Zähne
Überempfindliche Zähne enstehen, wenn das Zahnfleisch zurückgeht und das Zahnbein zum Vorschein kommt. Bilder: Adrian Lussi, zmk bern

Patienten unterschätzen Schmerzen

Für die beiden umfassenden Studien wurden rund 3200 Personen aus Frankreich, Spanien, Italien, Finnland, Lettland, Estland und dem Vereinigten Königreich befragt und von Zahnärzten untersucht. Im Fragebogen erhoben die Forschenden unter anderem den Bildungsstand, das soziale Milieu, medizinische Probleme, Mundhygienegewohnheiten und das Konsumverhalten bezüglich Getränken, Nahrungsmitteln und Medikamenten. «Wir wollten herausfinden, welche Faktoren davon in Zusammenhang stehen mit überempfindlichen Zähnen und säurebedingten Zahnschäden», so Lussi. Denn weder gebe es bisher länderübergreifende Studien noch eine klare Einschätzung von Risikofaktoren.

Mit einem kalten Luftstoss ermittelten die Zahnärzte, ob eine Patientin überempfindliche Zähne hat – abhängig davon, ob und wie stark sie auf diesen möglichen Schmerz reagierte. Überempfindliche Zähne entstehen, wenn das Zahnfleisch zurückgeht und das Zahnbein (Dentin) zum Vorschein kommt. Dieses ist durchzogen von Dentinkanälchen, die verbunden sind mit dem Zahnnerv. Liegen diese Kanälchen nun offen und werden gereizt durch beispielsweise Kälte oder säurehaltige Lösungen, kann Schmerz entstehen.

Offene Dentinkanälchen
Offene Dentinkanälchen verursachen Schmerzen, wenn sie gereizt werden, zum Beispiel durch Kälte.

Die Untersuchung zeigt, dass das Problem weit verbreitet ist: 57 Prozent der Patientinnen und Patienten zeigten eine Reaktion auf den kalten Luftstoss, 42 Prozent gaben Schmerzen an. Interessant dabei ist gemäss Lussi, dass die Übereinstimmung mit dem Fragebogen schlecht war. «Die Patienten unterschätzen offenbar ihre tatsächlichen Schmerzen.»

Manager und Leute vom Land zeigen mehr Erosionen

Säurebedingte Zahnschäden werden als dentale Erosionen bezeichnet und definiert als Verlust der Zahnhartsubstanz, die unter anderem aus dem Zahnschmelz und dem Dentin besteht. Die Auswertung der zweiten Studie ergab, dass bei durchschnittlich 43 Prozent der Patientinnen kein Verlust beobachtet werden konnte, bei 28 Prozent aber ein beginnender Verlust der Oberflächenstruktur. Bei 29 Prozent war der Verlust bereits «klar ersichtlich» oder sogar «ausgeprägt». «Zwischen den verschiedenen Ländern haben wir keine grossen Unterschiede festgestellt, mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs. Dort haben wir bei 54 Prozent der Patienten deutliche Substanzverluste beobachtet», so Lussi. Dies hänge damit zusammen, dass dort vergleichsweise mehr frische Früchte konsumiert werden.

Erwähnenswert sei auch die Tatsache, dass Manager bedeutend mehr Erosionen zeigten, die eigentliche Berufsausbildung jedoch keinen Einfluss habe. Ländliche Bewohner wiesen zudem mehr Erosionen auf als die städtische Bevölkerung. Und: «Während vermehrtes Kauen von Kaugummi keinen Einfluss auf die Zahnhartsubstanz hatte, zeigte die Einnahme von sauren Getränken und frischen Früchten ein statistisch signifikant erhöhtes Auftreten der Erosionen», so Lussi. Ausserdem führe die Einnahme von Antidepressiva sehr oft zu weniger Speichelfluss und damit zu einer – um den Faktor 4 – erhöhten Anfälligkeit auf Erosionen.

Dentale Erosionen
Dentale Erosionen, also der Verlust von Zahnhartsubstanz, führt zu mehr überempfindlichen Zähnen.

Wer mit Zähneputzen wartet, kriegt Karies

In beiden Studien zeigte der Fragebogen deutliche Zusammenhänge mit Risikofaktoren wie Sodbrennen, Erbrechen, Schlafmitteln, Rauchen und Energy Drinks. Zwischen 40 und 60 Prozent der Patientinnen und Patienten mit einem deutlichen Verlust an Zahnhartsubstanz hatten diese Faktoren im Fragebogen angekreuzt. «Hingegen führen weder häufiges Zähneputzen noch das Putzen unmittelbar nach Mahlzeiten zu mehr dentalen Erosionen», sagt Lussi.

Der Zahnmediziner setzt sich daher dafür ein, die übliche Empfehlung, nach dem Konsum von Saurem mit dem Zähneputzen zu warten, zu überdenken. «Dies ist im Normalfall nicht sinnvoll, da es Stunden bis Tage braucht, bis der mit Säure erweichte Schmelz einen gewissen Schutz vor Reibung zeigt.» Problematisch seien ausserdem viele saure Getränke, da diese auch Zucker enthielten. «Da schadet die Wartezeit höchstens, weil in der Zwischenzeit Bakterien den Zucker zu Säure abbauen und dadurch Karies entstehen kann.» Karies ist laut Lussi trotz Rückgang heute immer noch das Hauptproblem für die Zähne.

«Insgesamt zeigen die beiden Studien, dass ein Rückgang des Zahnfleisches und ausgeprägtere dentale Erosionen zu mehr überempfindlichen Zähnen führen», fasst er zusammen. Da Erosionen nicht rückgängig gemacht werden könnten, sei es wichtig, präventive Therapien einzusetzen. Nun, da man die Risikofaktoren nun kenne, werde dies einfacher.

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