Wer in Demokratien das Sagen hat

Demokratie ist nicht gleich Demokratie: Julian Bernauer vergleicht weltweit, wie viel Einfluss einzelne Bevölkerungsgruppen tatsächlich haben und was Demokratien leisten. «uniaktuell» stellt wöchentlich junge Forschende der Uni Bern vor – bis zur «Nacht der Forschung» am 6. September.

Interview: Timm Eugster 23. Juli 2014

In Demokratien zählt jeder Staatsbürger und jede Staatsbürgerin gleich viel – unabhängig von Einkommen, Geschlecht und ethnischem Hintergrund. Oder sind einige etwa doch gleicher als andere? Julian Bernauer vergleicht die Leistungen von Demokratien weltweit und untersucht, welche institutionellen Modelle welche Versprechen am ehesten einzulösen vermögen. Immer mit dabei im vergleichenden Fokus ist das Schweizer Modell. Bernauer studierte in Konstanz Verwaltungswissenschaften und doktorierte zur parlamentarischen Repräsentation ethnischer Minderheiten in Mittel- und Osteuropa. Seit Anfang 2012 ist er Oberassistent am Lehrstuhl für Schweizer Politik. Der 33-Jährige wohnt mit seiner Familie im deutschen Bad Säckingen.

«uniaktuell»: In der Forschung steckt viel Herzblut und Leidenschaft. Was ist Ihre Leidenschaft?
Julian Bernauer: Es fasziniert mich, wenn in einem grossen Datensatz durch statistische Auswertungen Muster erkennbar werden, etwa was die Leistungen verschiedener Demokratietypen betrifft. Dazu entwickeln wir mittlerweile sehr komplexe Modelle – da kann es schon mal eine Nacht lang dauern, bis der Computer fertig gerechnet hat. Die Leidenschaft ist dann, am nächsten Morgen zu schauen: Ist etwas rausgekommen? So haben wir beispielsweise mittels Mehrebenen-Analysen festgestellt, dass die Kombination von direkter Demokratie und Konkordanz in der Regierung zu einer höheren Demokratiezufriedenheit führt – und dass darüber hinaus diese Kombination dazu führt, dass die Lücke in der Zufriedenheit zwischen Wahlgewinnern und -verlierern geringer ausfällt. Früher untersuchte man meist recht simple Zusammenhänge zwischen A und B – also etwa zwischen direkter Demokratie und Zufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger. Das Schöne ist, dass die neuen, komplexeren Methoden auch komplexeres theoretisches Denken stimulieren: Ich möchte die Realität besser abbilden, ohne die Möglichkeit des Vergleichs zu verlieren. Zusammen mit Professor Adrian Vatter untersuchen wir klassische Themen der Politikwissenschaft mit neuen Ansätzen. Mit diesem Erfolgsrezept konnten wir in guten Journals publizieren.


Julian Bernauer begeistert sich für Computer – seine Ideen skizziert er dennoch ganz altmodisch mit dem Bleistift. (Bilder: Adrian Moser)

Wieso ist Ihre Forschung für die Gesellschaft relevant?
Viele Menschen auf der Welt leben in Demokratien – und sind direkt davon betroffen, wie diese ausgestaltet sind. So habe ich zum Beispiel zusammen mit Jan Rosset und Nathalie Giger den Zusammenhang zwischen Einkommen, gesellschaftlicher Ungleichheit und politischer Repräsentation untersucht. Konkret haben wir gezeigt, dass die Interessen von Bürgerinnen und Bürgern mit geringeren Einkommen von Parteien und Regierungen weniger gut berücksichtigt werden als jene von Leuten mit hohen Einkommen – und dass sich diese Distanz noch vergrössert, wenn die Gesellschaft als Ganze ungleicher ist. Das heisst: Wer in einem Land mit hohen Einkommensunterschieden wie Grossbritannien arm ist, hat in der Politik noch weniger Gewicht als in einem Land mit geringeren Einkommensunterschieden wie der Schweiz.

Was wollen Sie persönlich mit Ihrer Forschung erreichen?
Ich möchte Zusammenhänge aus einer vergleichenden Perspektive hinreichend komplex untersuchen und transparent machen. Schön ist natürlich, wenn man aus seinen Forschungsresultaten Empfehlungen ableiten kann – etwa welche politischen Institutionen günstig sind, um ökonomische Ungleichheit zu verringern. Doch hier bin ich sehr vorsichtig: Es ist nicht so einfach, Institutionen zu verpflanzen – das ist vermintes Gelände, wie man gerade im Irak sieht. Politikberatung ist in diesem Fall eher etwas für Spätwerke oder für international abgestützte Netzwerke wie den IPCC beim Klimawandel.

Warum haben Sie sich für Ihr Forschungsgebiet entschieden?
Meine Studienwahl war eher zufällig: Ich hatte mich in Hamburg für Physik und in Konstanz für Verwaltungswissenschaft beworben und dann auf Rat meines Vaters für letzteres entschieden. Er ist Forstwissenschaftler, meine Mutter ist Lehrerin, die Umweltgruppen initiierte – politisches Denken hatte ich schon zu Hause mitbekommen, in Konstanz war ich zudem politisch aktiv. Ein Praktikum im Bundestag hat mein Interesse für demokratische Prozesse verstärkt, gleichzeitig begeisterte ich mich für die Möglichkeiten der Statistik und des Vergleichs. Nach dem Studium hatte ich eine längere Unsicherheitsphase mit vielen kurzen Stellen, bis ich dann ein Promotionsstipendium der Heinrich-Böll-Stifung erhielt. Dafür musste ich ein Assessment durchstehen, das ich als stressig und skurril empfand, aber es bestärkte mich. Und aus den vielen Stellen entwickelte sich ein freundschaftliches Netzwerk aus Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich regelmässig Artikel publiziere. Einer ist kürzlich mit dem Nachwuchspreis der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften ausgezeichnet worden. Mit denselben Leuten habe ich allerdings auch schon einen Artikel eingereicht, der vom Gutachter mit der Bemerkung quittiert wurde, wir sollten aufhören, seine Zeit mit so schlechten Arbeiten zu verschwenden. Heute können wir darüber lachen – und ja, auch das war eine Motivation: Zu zeigen, dass man es doch kann, wenn man derart an der Ehre gepackt wird.

Sie haben eine lange Karriere vor sich – welches sind Ihre nächsten Schritte?
Hier in Bern habe ich definitiv entschieden: Ich bleibe dran. Als nächstes möchte ich Assistenz- oder Juniorprofessor werden, wo auch immer: Zum Glück ist meine Frau abenteuerlustig und als Lehrerin kann sie relativ gut im Ausland arbeiten. Zuerst aber muss ich hier meine Hausaufgaben machen: Ein Buchprojekt, meine Dissertation veröffentlichen, dann warten eine ganze Reihe von Artikeln und voraussichtlich die Habilitation … Ein grosses Thema ist für mich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Meine Frau will auch arbeiten und ich will auch unsere beiden Kinder betreuen. Im Moment geht das mit einigen Nachtschichten – doch ich habe Angst, dass von einem Professor erwartet wird, dass er nur noch Professor ist. Für mich wäre eine halbe Professur ideal, die ich gerne mit einer Frau teilen würde. Ich hoffe, dass sich dieses Modell rasch durchsetzt.

Wer ist Ihr Vorbild?
Ein Pionier unserer Forschung war Arend Lijphart, der sehr gut darin war, grosse Datensätze zu sammeln und das grosse Ganze im Blick zu behalten. Ich denke aber eher an die Professoren, die mich gefördert haben: Thomas Bräuninger, Peter Selb, Adrian Vatter. Sie sind Vorbilder, was ihre exzellente Forschung angeht, und sie zeigen, dass es möglich ist, trotzdem Mensch zu bleiben und sogar Familie zu haben.

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