Wie das Gehirn lernt – und wieder vergisst

Der menschliche Körper produziert cannabisähnliche Substanzen, die als Botenstoffe im Gehirn eine wichtige Rolle spielen. Physiologe und Theodor-Kocher-Preisträger Thomas Nevian erklärt am 26. März, wie der Mechanismus des Vergessens funktioniert.

Von Sandra Flückiger 26. März 2013

Was passiert im Gehirn, wenn wir lernen? Oder wenn wir vergessen? Diese Prozesse erforscht Physiologe Thomas Nevian auf der Ebene von Nervenzellen. An seinem Vortrag als Theodor-Kocher-Preisträger 2012 erklärt der Assistenzprofessor der Uni Bern die Mechanismen des Lernens im Gehirn und welchen Beitrag seine Forschung dazu leistet.

Gedächtnisinhalte werden gespeichert, indem Eigenschaften von Nervenzellen anhaltend verändert werden. Entscheidend ist dabei die Veränderung der Verknüpfungsstellen von Nervenzellen – der Synapsen. «Wir untersuchen molekulare Mechanismen, die diesem Vorgang zugrunde liegen», erklärt Nevian. Die Aufklärung dieser Prozesse sei zentral «für unser grundlegendes Verständnis von Lernen, Gedächtnis, der Entwicklung des Gehirns aber auch der Entstehung neurologischer Krankheiten».


Die miteinander verbundenen Nervenzellen (blau und rot) kommunizieren mit Hilfe cannabisähnlicher Stoffe. (Bild: Institut für Physiologie, Universität Bern)

Signale durch Botenstoffe

Die Kommunikation von Nervenzellen kann bildlich wie folgt erklärt werden: Die Zellen reden über chemische Botenstoffe, die von Zelle zu Zelle wandern, miteinander. Wie laut und stark sie reden, hängt von ihrer Verbindung ab. Diese kann verstärkt oder abgeschwächt werden. «Teilweise kann es passieren, dass sich die Nervenzellen gar nicht mehr unterhalten, weil die Verbindung verloren geht», sagt der Physiologieprofessor.

Bei der Untersuchung entsprechender Mechanismen haben die Forschenden um Nevian festgestellt, dass die Nervenzellen Substanzen produzieren, die für diesen Prozess der Abschwächung relevant sind. «Es handelt sich dabei um sogenannte Endocannabinoide – cannabisähnliche Stoffe, die im ganzen Körper produziert und als Botenstoffe genutzt werden», so Nevian. Im Gehirn sende dieser Botenstoff das Signal, eine Verbindung abzuschwächen.

Unklare Effekte von Cannabis

Der Physiologe hat weiter herausgefunden, dass Nervenzellen dann Endocannabinoide produzieren, wenn der Mensch lernt. «Dabei werden ungewollte Verbindungen zwischen Nervenzellen abgeschwächt und gleichzeitig gewünschte verstärkt, was insgesamt zu einer Gedächtnisspur führt», erläutert der Forscher. Das Endocannabinoid-System des Gehirns sei somit massgeblich an Lernprozessen beteiligt. Somit kann man sich vorstellen, dass Cannabiskonsum Auswirkungen auf die Gedächtnisleistung haben könnte. «Bei der Vielzahl der Wirkungen von Cannabis im Gehirn sind die genauen Auswirkungen beim Menschen allerdings schwer vorherzusagen», betont Nevian. Dazu bedürfe es weiterer Forschung.

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