Klima-Krimi auf unser aller Kosten

Die wissenschaftliche Evidenz liegt eigentlich vor – dennoch wird gezweifelt: Die US-amerikanische Umwelthistorikerin Naomi Oreskes zeigte auf, wie und warum der durch den Menschen verursachte Klimawandel in den USA von der Bildfläche verschwand. Ein Krimi an der Klima-Konferenz des Oeschger Centre der Uni Bern.

Von Bettina Jakob 24. Januar 2013

Was denn nun – wird es unwiderruflich wärmer auf unserem Planeten oder nicht? Sind der Mensch und die Treibhausgase Schuld? Oder unterliegt die Erwärmung doch natürlichen Schwankungen? Die einen Forschenden liefern Resultate, dass der Klimawandel menschengemacht sei – welche postwendend von anderen Experten angezweifelt werden. Scheinbar herrscht Uneinigkeit in der Wissenschaftsgemeinde. Stimmt nicht!, sagt die US-amerikanische Geologin und Umwelthistorikerin Naomi Oreskes. Unter den Wissenschaftlern herrsche ein ausgesprochener Konsens – lediglich eine Handvoll Wissenschaftler säten in Amerika Zweifel an der hausgemachten globalen Erwärmung. Mit bedauerlichem Erfolg: «Während die Wissenschaft bereits 1988 mit 99prozentiger Sicherheit deklarierte, dass der Klimawandel durch den Menschen verursacht wird, ist immer noch ein Drittel der US-Bürger nicht davon überzeugt, dass sich das Klima erwärmt», so Oreskes. Wie konnte es trotz überwältigender Datenlage soweit kommen? An einer Klima-Konferenz des Oeschger Centre der Uni Bern warf sie einen Blick hinter die Bühne des Klima-Dramas.

Strahlend blauer Himmel
Es wird wärmer und wärmer – warum wird gezweifelt? Bild: istock

Bedeutet Wissen wirklich Macht?

Eigentlich war Amerika auf gutem Kurs, wie ein Blick in die Geschichte zeigt: Nach Beginn systematischer Messungen des CO2 in der Atmosphäre im Jahr 1958 bekräftigte zwölf Jahre später die «US National Academy of Sciences,» dass eine Fülle von Studien den Menschen über den Ausstoss von Treibhausgasen als Verursacher der Erderwärmung ausmachten. 1992 wurde in der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen festgehalten, gemeinsam gegen die gefährlichen menschlichen Auswirkungen auf das Klima aktiv zu werden, und US-Präsident George H.W. Bush versprach Massnahmen, «um den Planet zu schützen».

Doch es passierte nichts. Auf die wissenschaftlichen Fakten zum Klimawandel folgten keine konkreten politischen Schritte, wie Naomi Oreskes ausführte. Im US-Kongress stimmten zwar die Demokraten vermehrt für Umweltanliegen – aber die Republikaner beurteilten diese umso restriktiver. Warum? Was ist passiert anfangs der 1990er Jahre?

Die drei Physiker aus dem Kalten Krieg

Ihre Recherchen, welche die Umwelthistorikerin zusammen mit ihrem Kollegen Erik Conway zu einem Buch verarbeitete, führte die Forscherin zu einem konzeptionellen (Schlacht)Plan dreier Männer, ihres Zeichens renommierte Wissenschaftler aus dem Kalten Krieg: Robert Jastrow, Astrophysiker der NASA, Frederick Seitz, Physiker und ehemaliger Präsident der United States National Academy of Sciences und Nuklearphysiker William Nierenberg. «Alle drei waren sehr einflussreiche Wissenschaftler», so Oreskes. 1984 hatten sie den Thinktank «George C. Marshall Institute» gegründet – mit der Absicht, die sogenannte «Strategic Defense Initiative» (SDI) zu unterstützen, welche die USA im Rahmen des Kalten Krieges vor feindlichen Attacken schützen sollte. Aber rund 6500 akademische Physiker wehrten sich damals geschlossen gegen ein entsprechendes «technisch zweifelhaftes und diplomatisch destabilisierendes» Forschungsprogramm, wie Oreskes erklärte.

Zweifel säen als Strategie

Die Umwelthistorikerin stiess auf die Strategie, mit welcher die drei Physiker für die SDI kämpften – oder etwa die Existenz des sauren Regens, des Ozonlochs, die gesundheitsschädigenden Auswirkungen von Zigaretten sowie ab 1989 auch den Klimawandel anfochten: Die drei Wissenschaftler und ihre Gefolgschaft wiesen gemäss Oreskes auf Unvollständigkeiten von Studien hin, auf fehlende hundertprozentige Sicherheit, sie stellten die scheinbare Uneinigkeit unter den Forschenden in der Vordergrund. «Die Klimaskeptiker traten ausserdem nicht im wissenschaftlichen Kontext auf, sondern stets in den Massenmedien», erklärte die Geologin. Ziel des Vorhabens: Zweifel säen.

Was auch gelang, wie Oreskes schilderte: 1989 trat Nuklearphysiker William Nierenberg im Weissen Haus auf, und erklärte, dass es kaum Beweise für den Klimawandel gebe, dass die beobachtete Erwärmung von natürlicher Variabilität herstammen könnte, und dass – falls in Zukunft doch ein Treibhauseffekt auftreten würde – die Technologie die nötigen Anpassungen liefern würde. Ab diesem Zeitpunkt rückte die Erderwämung in der politischen Agenda nach hinten.

Freiheit und Kapitalismus als oberstes Gebot

Warum in aller Welt begannen plötzlich drei angesehene amerikanische Physiker damit, die Klimaforschung anzufechten? Naomi Oreskes liess die Katze aus dem Sack: 1989 endete der Kalte Krieg – die ehemaligen Themen wie nuklearer Winter, SDI, Satellitenüberwachung verschwanden vom Radar. Der Klimawandel – zu dieser Zeit in aller Munde – wurde zum neuen Zielobjekt der drei Kämpfer, die stets für ein freies Amerika eintraten. Und genau um diese Freiheit ging es ihnen auch weiterhin: Geprägt durch die Auseinandersetzung mit der kommunistischen Sowjetunion als Feindbild setzten die Kämpfer aus dem Kalten Krieg auf Kapitalismus und Freiheit als höchstes Gut. 

Die Vertreter des «George C. Marshall Institutes» fochten im Grunde genommen nicht die wissenschaftlichen Fakten zum Klimawandel an – vielmehr fürchteten sie sich vor den Konsequenzen, welche diese Erkenntnisse haben könnten: die staatliche Regulierung des Marktes, den Eingriff in die lokalen Souveränitäten, in die Privatsphäre des Individuums und damit das Beschneiden der persönlichen Freiheit. Das Engagement des Dreiergespanns in der Tabak-Debatte lässt sich so ebenfalls erklären: «Auch wenn Rauchen zweifellos ungesund ist, so soll doch jeder selber entscheiden können, ob er zur Zigarette greifen will oder nicht», fasste die Umwelthistorikerin zusammen.

Mehr Regulation und Governance

«Jastrow und seine Kollegen verstanden ihren Feldzug als Ausdruck des politischen Commitments, die Freiheit Amerikas zu verteidigen», so Oreskes. Er war ein Mittel zum Zweck, der Umweltbewegung Einhalt zu gebieten, «hinter der sie Sozialisten vermuteten, die den freien Markt und den Kapitalismus niederringen wollten», sagte Oreskes. Denn es scheint klar: Um den durch den Menschen verursachten Klimawandel positiv zu beeinflussen, brauche es mehr Regulation und mehr Governance.

Da ein stärkerer staatlicher Eingriff auch den Grundsätzen der Republikaner widerspricht, wird schliesslich auch die plötzliche Zurückhaltung der Republikaner im US-Kongress gegenüber Umweltthemen ab 1989 verständlich. «Um dem Klimawandel zu begegnen, muss sich aber der ‹American Way of Life› – nämlich mehr zu verbrauchen und weniger zu zahlen, wie ihn eine konservative Aktivistin beschrieb – grundsätzlich ändern», schloss Umwelthistorikerin Naomi Oreskes.

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