Der Kanton Bern: «Die kleine Schweiz in der Schweiz»
Mit viel Publikum und Berner Prominenz hat eine dreiteilige Gesprächsreihe des Forums für Universität und Gesellschaft zum Thema «Der Kanton Bern – Stadt UND Land müssen sich bewegen» begonnen. Im Zentrum steht der vieldiskutierte Graben zwischen dem «Wirtschaftsmotor Stadt» und dem «Armenhaus Land». Gibt es ihn denn wirklich oder existiert er nur in den Köpfen?
Eines ist am ersten Abend klar geworden: Der Kanton Bern ist in seiner Vielfältigkeit mit dem Gesamtbild der Schweiz vergleichbar. Die wirtschaftlich starken Städte stehen einem weiten landwirtschaftlich geprägten Umfeld und kargen Berggebieten gegenüber. Nicht nur die abweichende politische Ausprägung der verschiedenen Regionen, sondern auch eine offenbar unbalancierte Lastenstruktur und ein ungleiches Ressourcenpotential führen zu mannigfaltigen Herausforderungen und Begehrlichkeiten im Ausgleich zwischen den Kantonen der Schweiz – aber auch innerhalb des Kantons Bern selber: In je zwei Aussen- und Innensichten legten Wissenschaftler und kantonale Vertreter an der Auftaktveranstaltung Stärken und Schwächen des Kantons Bern auf den Tisch, beschwichtigten und rüttelten auf.
Vielfalt im Kanton Bern: Starke Städte stehen einem weiten landwirtschaftlichen Umfeld gegenüber. (Bild: Tomas Wüthrich)
Zwischen Konflikt und Solidarität
Man war sich zumindest in diesem Punkt einig: Die ländlichen und urbanen Gebiete des Kantons Bern geraten immer wieder in einen Werte- und Interessenkonflikt. Diese Kluft sei durch jüngste Abstimmungsresultate mehrfach bestätigt worden – aber es gebe durchaus auch Themenbereiche, bei denen Stadt und Land zusammenrückten, wie Adrian Vatter vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern anhand von verschiedenen Abstimmungsanalysen aufzeigte. Die Schneekanoneninitiative und das Referendum zur Gesamtsanierung des Spitals Riggisberg in den 1990er Jahren beispielsweise hätten eine «überregionale Solidarität» bestätigt, die gerade bei Infrastrukturprojekten für ländliche Regionen oft zu beobachten sei. Auch Adrian Studer, Vorsitzender der Geschäftsleitung beco Berner Wirtschaft, gräbt den «Güllengraben» nicht ganz so tief: «Stadt und Land stehen insgesamt gut da – dank der interkantonalen Solidarität».
Der Kanton Bern ist nicht faul
Bern hat aber nicht nur mit interkantonalen Herausforderungen zu kämpfen: Die Milliarde, die Bern aus dem nationalen Finanzausgleich erhält, liegt noch immer schwer auf. Doch nach Studer präsentierte auch Gerhard Engel von der Finanzdirektion des Kantons Bern Fakten, welche die Faulheitsvorwürfe an den Kanton etwas verblassen liessen. Eine Auswertung des Bundesamts für Statistik hat beispielsweise gezeigt, dass im Vergleich aller Kantone Bern 2010 das siebtgrösste Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Einwohner erzielte. Und auch der Arbeitsmarkt funktioniert ziemlich gut, was zu einem durchaus positiven Fazit der ersten drei Referenten führte: Bern, das zwar nicht zu den finanziell und wirtschaftlich stärksten Kantonen der Schweiz zählt, liegt immerhin im Mittelfeld.
Im Vergleich aller Kantone wies Bern 2010 das siebtgrösste Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Einwohner auf. Dennoch: Der Kanton Bern sei nicht dynamisch, so Michael Hermann. (Bild: Tomas Wüthrich)
Das grüne Bern lebt in einer Ecopop-Illusion
Kann Bern also aufatmen? Nein – die Luft blieb weg, als man den Ausführungen von Michael Hermann der Forschungsstelle somoto folgte. Er nannte als grösste Bürde des Kantons Bern seine unterdurchschnittliche Dynamik und seine Wachstumsskepsis. Hermanns Analysen sind bitter: Von den insgesamt 56 Agglomerationen der Schweiz sind in den letzten 30 Jahren nur la Chaux-de-Fonds (NE) und Grenchen (SO) weniger gewachsen. Und in keiner anderen Agglomeration bestehe ein grösseres Missverhältnis zwischen Arbeitsplatz- und Bevölkerungswachstum als im Kanton Bern.
«Die Hauptstadtregion exportiert einen grossen Teil seines Bevölkerungswachstums in die Nachbarsregionen – damit geht Bern viel verloren», so Hermann. So würden die steuerlichen Vorteile und der Aufbau von Humankapitel hauptsächlich dem Kanton Freiburg zufallen. Was hingegen nicht verloren gehe, seien die durch die Pendler verursachten Verkehrsbelastungen. Denn: Weniger Wachstum in der Agglo Bern heisst noch lange nicht mehr Ökologie. Oder in den Worten von Hermann: «Der Kanton Bern lebt in einer Ecopop-Illusion».
Projektleiter der aktuellen Forumsgespräche: Prof. em. Dr. Paul Messerli, Geographisches Institut. (Bild: FUG)
Auf welche Karte soll der Kanton nun setzen? Bern muss sich als Wohnkanton positionieren – so der Grundtenor der Referenten. Aber auch die These der Forumsgespräche «Stadt UND Land müssen sich bewegen» wurde bekräftigt. Mit welchen Herausforderungen der Kanton auf diesem Weg noch zu kämpfen hat und welche Optionen ihm bleiben, wird Gegenstand der beiden nächsten Veranstaltungen sein.
Martina Dubach ist Geschäftsführerin und Anina Lauber Mitarbeitende des Forums für Universität und Gesellschaft (FUG).