Geschädigtes Gehirn gesundet durch Magnetimpulse

«Von der Zelle zum Gedächtnis: das plastische Gehirn»: Das «Center for Cognition, Learning and Memory» (CCLM) der Uni Bern lud zu diesem Workshop am jährlichen Treffen des Netzwerks der Klinischen Neurowissenschaften. Der Neurologe René Müri referierte über die positive Wirkung von Magnetimpulsen auf das geschädigte Gehirn.

Von Bettina Jakob 17. Dezember 2012

1,5 Kilogramm schwer, 100 Milliarden Nervenzellen mit unzähligen Vernetzungen: Das menschliche Gehirn ist eine effiziente und hochpotente Schaltzentrale, die bis ins hohe Alter Neues lernen kann. Durch diese Neuroplastizität können gesunde Menschen wunderbare Fähigkeiten erlangen – und Patienten mit einer Hirnverletzung ein Stück Normalität zurück erobern. René Müri von der Abteilung für Kognitive und Restorative Neurologie am Inselspital, der auch am «Center for Cognition, Learning and Memory» an der Universität Bern tätig ist, sucht mit seiner Forschungsgruppe nach Therapien, wie bei Schlaganfall-Patienten die Gehirnfunktionen verbessert werden können. «Mit einer Magnetstimulation können wir bei Neglekt-Betroffenen eine nachhaltige Wirkung erzielen, die über einige Wochen anhält», freut sich Forschungsleiter Müri.

Die linke Welt existiert nicht mehr: Beim «Neglekt»-Syndrom zeichnen Patienten eine Modellblume (links) nur zur Hälfte nach, glauben aber, sie hätten die ganze Blume abgebildet. (Bild: zvg)

Gehirnhälften halten sich gegenseitig in Schach

Das Neglekt-Syndrom tritt bei rund 30 Prozent Schlaganfall-Patienten auf: Durch eine Gehirnschädigung auf der rechten Seite kommt das Zusammenspiel der beiden Hirnhälften aus dem Gleichgewicht – mit der Folge, dass die Betroffenen die linke Welt nicht mehr wahrnehmen können: Sie rasieren nur noch die rechte Gesichtshälfte, sie essen ihren Teller nur halbleer, das Gemüse auf der linken Tellerseite sehen sie zwar, aber ihr Gehirn kann diese Information nicht mehr interpretieren.

«Durch die Gehirnverletzung ist die gesunde linke Hirnhälfte überaktiv geworden», erklärt René Müri; im gesunden Gehirn kontrollieren sich die rechte und linke Hemisphäre gegenseitig über einen ausgewogenen Gas-Brems-Mechanismus und sorgen so für eine abgestimmte Interpretation der Umwelt.

Zwei Tage Behandlung – drei Wochen Wirkung

Mithilfe von Magnetfeldern gelingt es den Neurologen, die Hyperaktivität der gesunden Hirnhälfte herunterzusetzen – «worauf sich die Aktivität der geschädigten Hemisphäre verbessert», so Müri. Dieser ausbalancierende Effekt der sogenannten Transkraniellen Magnetstimulation (TMS) ist bereits bekannt und lässt sich im Experimentallabor mittels der Aufzeichnung von Augenbewegungen verfolgen: Nach einer TMS-Sitzung bewegen sich die Augen eines Neglekt-Betroffenen auch wieder ins linke Gesichtsfeld, was vor der Therapie nicht der Fall war (siehe Videos).

 

Die Aufzeichnung zeigt die Augenbewegungen eines Neglekt-Patienten, der die Aufgabe hat, die Ballone im Bild zu suchen: Seine Augen suchen nur den rechten Teil des Bildes ab…
 

…aber nach einer Magnetstimulation des Gehirns nimmt er die linke Seite wieder wahr und bezieht sie in seine Suche ein. (Videos: zvg)

Forschende um René Müri und Thomas Nyffeler vom Spital Luzern haben nun eine bestimmte Frequenz der Magnetimpulse gefunden, welche die Plastizität des geschädigten Gehirns offensichtlich nachhaltig steigert: Wenn Neglekt-Betroffene an zwei Tagen je acht mal eine nicht invasive, 45-Sekunden-Behandlung mit der Magnetspule erhalten, hält die positive Wirkung gemäss Studie drei Wochen an: «Die Rückmeldungen aus dem Umfeld und Alltag der Betroffenen ist verblüffend, sie weisen auf eine 30prozentige Verbesserung hin», freut sich Neurologe Müri: Die Patientinnen und Patienten stossen seltener gegen den Türrahmen und kämmen sich auch wieder auf der linken Seite.

Spannendes Umfeld gut für Genesung

Die Magnetstimulation hat ausserdem einen erfreulichen Zusatzeffekt: «Sie bereitet den Weg für andere Therapien wie Physiotherapie, Ergotherapie und Neuropsychologie, die nach einer Magnetfeld-Behandlung noch effektiver zu sein scheinen», erklärt René Müri. Die Rehabilitation sollte zudem gemäss Müri in einem anregenden und herausfordernden Umfeld stattfinden: Studien mit Ratten weisen eine bessere Erholung des Gehirns klar nach einem Schlaganfall nach, wenn die Tiere in einem artgerechten, interessanten Käfig gehalten wurden. «Ein leeres Spitalzimmer eignet sich nicht für eine schnelle Rekonvaleszenz von Schlaganfall-Patienten», betont der Neurologe.

Über die Stimulation mit einer Magnetsspule kann die Gehirnaktivität schmerzlos und nicht-invasiv beeinflusst werden. (Bild: zvg)

Training, Training, Training

Natürlich, so Müri, haben auch pharmakologische Substanzen wie gewisse Amphetamine oder Antidepressiva einen Platz in der Rehabilitation von gehirnverletzten Menschen, da diese ebenfalls einen positiven Effekt auf die Neuroplastizität haben. Von Gehirndoping bei Gesunden durch solche Substanzen, welche die Konzentrations- und die Aufnahmefähigkeit steigern können, hält Müri nicht viel – allerdings brenne dieses Thema, werfe ethische Fragen auf und müsse von der Leistungsgesellschaft ohne Zweifel diskutiert werden. «Gesunde Menschen können auf natürliche Ressourcen setzen», betont der Berner Neurologe: Stetes Training mit immer neuen Aufgaben hält die Neuroplastizität hoch – «und ist der ehrlichste Weg, sein Gehirn fit zu halten», so Müri.

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