Machen Computerspiele religiös?

Computerspiele gehören zu den erfolgreichsten Medien dieser Zeit. Ihre Inhalte entstammen oft den Vorstellungswelten historischer Religionen und sind gespickt mit spiritueller Symbolik. Werden dadurch die Gamer religiöser? Nein, so der Berner Forscher Oliver Steffen.

Von Bettina Jakob 14. März 2012

Der Held hängt sich ein Amulett um den Hals. Die magische Kraft des Anhängers soll ihn auf seiner Reise durch das mystische Mittelalter beschützen. Der namenlose Held wird mit der Computertastatur durch seine Abenteuer gelotst – sein Dirigent ist einer der zahllosen Spieler, die sich ihre Zeit mit Computergames vertreiben.

Auschnitt aus einem Computerspiel
Per Mausklick durch die abenteuerlichen Welten der Computerspiele. Bilder: zvg

Ein eingefleischter Gamer war auch Oliver Steffen, heute beschäftigen ihn die Spiele aus wissenschaftlicher Sicht. Der Forschende der Uni Bern interessiert sich dafür, wie religiöse Symbolik in Computerspielen dargestellt und ins Spiel integriert wird. Als Religionswissenschaftler will er ausserdem wissen, wie die Spielenden zur Religion stehen, und ob religiöse und spirituelle Elemente auf dem Bildschirm den Glauben ans Göttliche beeinflussen. Diese Frage schien Steffen interessant, da die Gamer einerseits die Reputation haben, nicht religiös, sondern vielmehr einfach «technische Freaks» zu sein – andererseits tauchen aber in den Computerspielen oftmals religiöse Symbole auf.

Spiritueller als erwartet

Eine Online-Umfrage in der Gamer-Community der populären Computerspiele «Risen» und «Anno 1404», in welchen Religion in vielfältiger Weise thematisiert wird, zeigt tatsächlich, dass 40 Prozent der Spielenden sich als säkular bezeichnen. «Dieser Wert ist vier Mal höher als der Schweizer Durchschnitt», so der Religionswissenschaftler, der für sein Projekt «Between ‹God Mode› and ‹God Mood›» vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) unterstützt wird.

Hinter dieser erwarteten ablehnenden Haltung gegenüber Religion hat Steffen aber Überraschendes entdeckt: «Viele Gamer bezeichnen sich zwar als nicht religiös und fühlen sich keiner institutionellen Glaubenseinrichtung verpflichtet, aber sie sind viel spiritueller als erwartet.» Neben den 40 Prozent der Säkularen sind ebenfalls 40 Prozent der Spielenden spirituell interessiert, «sie sind offen für Spiritualität im Rahmen ihrer Konfession, oder aber für alternative Ansätze – wie etwa östliche Bewegungs- und Entspannungstechniken oder germanische und nordische Mythen und Kulte», so Steffen.

Lockere Haltung als Abbild der Gesellschaft

Allerdings vermutet der Berner Wissenschaftler keine grosse Ernsthaftigkeit beim Spielen mit religiösen Inhalten: «Das Computerspiel erlaubt es, unverbindlich religiöse Rollen auszusprobieren, was grundsätzlich zur offenen Gesellschaft der heutigen Zeit passt.» Warum kommen also religiöse Symbolik – wie Magier mit göttlichen Kräften im Fantasie-Rollenspiel «Risen» – oder auch explizite Darstellungen – wie christliche und islamische Bauten im Strategiespiel «Anno 1404» – überhaupt vor? Die Antwort scheint einfach: «Ingame-Religion ist für Gamer nicht bedeutsam, aber im Spielkontext vermittelt sie Authentizität», sagt Oliver Steffen, «denn sie gehört zur Gesellschaft, in der ja auch die Spielenden leben.» Die Simulation einer Fantasiewelt mit authentischen Elementen aus dem wirklichen Leben soll die Spielenden richtig ins Geschehen eintauchen lassen.

Grafik im Spiel Anno 1404
Detaillierte Grafik und möglichst authentisch: eine Moschee aus dem Strategiespiel «Anno 1404».

Grenzen zwischen Virtualität und Realität

Religion als Spiel? «Oder vielmehr das Spiel als Religion», hält Oliver Steffen entgegen. Als erfahrener Gamer weiss Steffen, dass das Spielen selber Ritual werden kann: «Man nimmt sich viel Zeit dafür, zieht sich in seinen eigenen Raum zurück, nimmt eifrig an Diskussionen über Figuren und Handlung in Foren teil, identifiziert sich mit seinem Helden.» Richtige Freaks würden an Game-Messen sogar in der Aufmachung ihrer persönlichen Titelfigur erscheinen.

Einen Transferprozess von Fantasiegedanken ins wirkliche Leben mag Oliver Steffen allerdings darin nicht erkennen. Jedenfalls nicht in Bezug auf Religion, wie er seiner Umfrage unter den «Risen»- und «Anno 1404»-Spielenden entnimmt: «Unterhaltungsspiele veranlassen die Gamenden wohl kaum, zu einer Religion zu konvertieren», so der Religionswissenschaftler. Ein so grosser Schritt kann in seinen Augen «dann doch nur durch einen persönlichen Austausch und Begegnungen mit echten Menschen entstehen».

Held aus dem Spiel "Risen"
Der virtuelle Held aus «Risen» mag den Freund, dem man in Wirklichkeit begegnen kann, nicht ersetzen.

Schwieriger sei eine Einschätzung sicher für Propaganda-Spiele oder explizit für eine bestimmte Religion missionierende Spiele. «Aber Menschen, die solch einschlägige Spiele kaufen, besitzen wohl sowieso bereits die entsprechende Überzeugung des dahinterstehenden Gedankenguts», so der Religionswissenschaftler.

Informationen zum Projekt

bj. Das Projekt «Between ‹God Mode› and ‹God Mood›» beschäftigt sich mit einem der jüngsten und erfolgreichsten Medien der Gegenwart, den Computerspielen. Am Beispiel zweier PC-Computerspiele – Anno 1404 und Risen – verfolgt das Projekt zum einen die Frage, welche Art von religiöser Symbolik verwendet wird. Zum anderen interessiert die Bedeutung, die religiöse Inhalte von Computerspielen für Spielerinnen und Spieler haben. Das Projekt wird vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) gefördert und von Prof. Jens Schlieter betreut.

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