Der Orient existiert – in der Vorstellung des Westens
Zum 25-jährigen Bestehen führt der Chor der Universität Bern das Musiktheater «L’Orient n’existe pas» in der Französischen Kirche auf. Im Stück verschmelzen die musikalischen und literarischen Traditionen aus Ost und West.
Der Orient ist aktuell vor allem als Schauplatz von Konflikten und Revolutionen in den Nachrichten. Der Chor der Universität Bern bietet zu seinem 25-Jahr-Jubiläum mit der Uraufführung des Musiktheaters «L’Orient n’existe pas» eine andere Perspektive: «In unserem Stück steht der Orient weder als kultureller noch als geographischer Raum im Mittelpunkt, sondern als Projektionsfläche der Wünsche und Ängste des Abendlandes», erklärt Maurus Blumenthal, Vizepräsident des Unichors. Dabei werde gekonnt mit Klischees gespielt, zum Beispiel mit dem Orient als Ort unverfälschter Leidenschaft und Spiritualität, aber diese würden gleich wieder dekonstruiert, verspricht er. Die Ko-Produktion der beiden Komponisten Matthias Heep, seit 10 Jahren Dirigent des Unichors, und Mahmoud Turkmani, innovativer Musiker aus dem Libanon, wird am 11. und 13. Mai jeweils um 21 Uhr in der Französischen Kirche aufgeführt.
Der Chor der Uni Bern probt mit Dirigent Matthias Heep für die Auftritte in der Französischen Kirche. (Bild: zvg)
Rimbaud und Glauser als Grundlage
Die Kompositionen von Heep und Turkmani wechseln sich ab und fliessen ineinander – das Werk vereint mit einem europäischen und einem arabischen Ensemble auch auf musikalischer Ebene Orient und Okzident. Die Zeitebenen vermischen sich ebenfalls, traditionelle und zeitgenössische Klangelemente kommen zum Zug. Diese musikalischen Wechselspiele ergeben einen Kontrast zur Textcollage, die vor allem Auszüge aus den Werken europäischer Autoren enthält. «Das Gerüst bildet die Reise von Europa weg in den Orient, mit allen Eindrücken und Erfahrungen», führt Blumenthal aus. Als dramaturgische Grundlage dienen vorwiegend «Une saison en enfer» des französischen Dichters Arthur Rimbaud, einer der bekanntesten Orientreisenden, sowie der Roman «Die Fieberkurve» von Friedrich Glauser, der den Berner Wachtmeister Studer auf Dienstreise nach Marokko schickt.
Professionelle Rahmenbedingungen
Mit dem Musiktheater «L’Orient n’existe pas» bleibt der Unichor auch 25 Jahre nach der Gründung seiner Tradition treu, einen guten Mix zwischen klassischen und zeitgenössischen Stücken sowie zwischen kirchlicher und weltlicher Musik zu bieten. Anders als zu den Anfängen können die rund 60 Sängerinnen und Sänger inzwischen auf professionelle Strukturen zählen, etwa in Person einer Stimmbildnerin, welche ihre Proben begleitet. Ende dieses Jahres ist geplant, gemeinsam mit dem Alumni-Orchester der Uni Bern das Brahms-Requiem aufzuführen. Erfreuliche Pläne – einzig ein Problem hat Blumenthal: nämlich die relativ grosse Fluktuation unter den Chormitgliedern. «Diese ist aber normal bei studentischen Vereinigungen, wir müssen wohl damit leben.»