Selbstbestimmung trotz Neurobiologie

Vor vollen Rängen hielt der Philosoph und Literat Peter Bieri (alias Pascal Mercier) einen kämpferischen Vortrag zur Philosophie des Geistes im Zeitalter der Neurobiologie. Der Begriffsarbeiter plädierte für die klare Unterscheidung der Sprache des Körpers von der Sprache des Geistes.

Von Marcus Moser 22. Februar 2011

«Die Abhängigkeit des Geistes vom Gehirn scheint gefährlich zu sein», konstatierte Peter Bieri gleich zu Beginn seines Referats auf Einladung des Collegium generale. Um sogleich zu entwarnen: «Diese Gefahr besteht nicht!» Es seien Fallstricke des Denkens, verstärkt durch mediale Aufgeregtheiten, die den Blick verstellten. Jetzt gelte es, einen Schritt zurück zu machen. «Wir müssen zuerst darüber reden, wie wir darüber reden», befand der Philosophieprofessor. Nachdem alle Anwesenden den dreiseitigen Fahrplan der Ausführungen vor sich hatten, hob er an. Damit ist auch gesagt: Powerpoint-Folien und eingefärbte Hirnscan-Bilder gab es keine.


Peter Bieri fesselte sein Publikum mit einem engagierten Vortrag. (Bild:Marcus Moser)

Sprache des Körpers versus Sprache des Geistes

Bereits wer ein Aspirin nehme, unterstelle eine Verbindung zwischen neurobiologischen und geistpsychologischen Abläufen. Zu Recht, wie Bieri unterstrich, um sich sogleich zu positionieren: Ohne neurobiologische Prozesse passiere nichts im Geist. Neurobiologische Prozesse seien die empirisch notwendige Voraussetzung für personale Veränderungen. Wichtig sei nun aber - so Peter Bieri - die Betrachtungsweise von Menschen als «biologische Systeme» von jener von Menschen als «Personen» und «Subjekte» zu unterscheiden. Im ersten Fall handle es sich um die «Sprache des Körpers». Dieser kategoriale Rahmen sehe Fragen nach Freiheit, Selbstbestimmung und Verantwortung nicht vor. Verstünden wir uns aber als Personen, gehe es um die «Sprache des Geistes». Und auf dieser Ebene seien Fragen nach Freiheit, Selbstbestimmung und Verantwortung uns allen gegenwärtig.

Schreckensvision: Das Gehirn als Regisseur

In einem Gedankenexperimente führte Bieri die Folgen einer Reduktion auf eine der beiden Sichtweisen vor. Als «Schreckensvision» erschien ihm die Beschreibungsverarmung auf die Sprache des Körpers. Hier bedeute, den Menschen zu verstehen, die neurobiologische Feinmechanik aufzudecken. «Die Sprache des Geistes wäre in dieser Sichtweise eine Fiktion, eine Art von Lebenslüge», konstatierte Bieri. Es gäbe keinen logischen Ort für Fragen nach Freiheit oder Unfreiheit.
Zudem stilisierten die Vertreter solcher reduktionistischer Ansichten das Gehirn zum Regisseur. «Es wird ihnen unter der Hand zum Homunkulus, zur kleinen Person in der grossen.» Behaupteten Hirnforscher, sie seien die Beobachter der eigentlichen Wirklichkeit, so sei dies ein metaphysischer Schachzug. «Das mögen die Hirnforscher zwar nicht wollen», hob der Philosoph zur Spitze gegen die Kollegen an, «aber in dem sie ihre Perspektive als wahrer bezeichnen», betrieben sie Metaphysik und stolperten ihrerseits über einen Fallstrick des Denkens.

Peter Bieri wechselte im nächsten Gedankengang die Perspektive. Auch die umgekehrte Form eines Reduktionismus, die Annahme eines un-bedingten Willens, führe in die Irre. Denn ohne neurobiologische Festlegungen wären alle Anstrengungen der Selbstbestimmung nutzlos. Ohne Verknüpfung zu Genen, frühen sozialen Prägungen oder kurz – zu einer Lebensgeschichte, wäre die Ausprägung einer Person nicht möglich. Komplexe Formen der Selbstbestimmung bedürften einer Einbettung in die Lebensgeschichte.

Aus diesen beiden Sackgassen führe die klare Unterscheidung verschiedener Ebenen der Beschreibung der Welt. Dafür gebe es je unterschiedliche Vokabularien. Eines zur Beschreibung naturwissenschaftlicher Gesetzmässigkeiten, ein anderes zur Beschreibung von Handlungen und Gründen. Bieri betonte, dass diesen verschiedenen Ebenen auch verschiedene Prinzipien des Verstehens entsprächen.


Zehn Minuten vor Beginn des Vortrags war der Saal bereits voll. (Bild: Sara Zwahlen)

Er selber fasste «Verstehen» als das Finden von Bedingungen für ein Phänomen: Ursachen für Natürliches und Gründe für Handlungen. Die Kausalaussagen seien aber an die Beschreibungsebene gebunden und könnten sinnvoll gerade nicht über Ebenen hinweg formuliert werden. Genau darin aber liegt für Bieri der Ursprung für die allgemeine Verwirrung im Verhältnis von Gehirn und Geist: «Gründe als Ursachen und neurobiologische Episoden als Ursachen sind keine Konkurrenten, weil sie verschiedenen Ebenen angehören», unterstrich der Philosoph. Metaphysik betreibe auch hier, wer eine Neubeschreibung der Wirklichkeit in einem einzigen Vokabular über verschiedene Ebenen hinweg vornehme. «Korrelationen zwischen Gehirntätigkeit und Verhalten konstatieren ist eine Sache. Einen Erklärungsanspruch erheben eine andere», meinte Bieri.

Die Suche nach Erklärungen

Damit war die Gretchenfrage im Raum: Wäre es möglich, die Beziehung zwischen Gehirn und Geist nicht nur zu konstatieren, sondern auch zu erklären? Also zu sagen, warum sie besteht? An diese Punkt blieb Peter Bieri zurückhaltend und verwies unter anderem auf den Begriff der Emergenz und das damit bezeichnete Phänomen, dass sich bestimmte Eigenschaften eines Ganzen nicht aus seinen Teilen erklären lassen. Auch wenn die empirischen Befunde der Neurobiologie stetig zunähmen, machten sie das Auftreten von etwas Neuem, nämlich dem Erleben von Selbstbestimmung, nicht verständlich.

Der Vortrag provozierte viele Fragen. Und obwohl die Zeit fortgeschritten war, mochte Peter Bieri noch nicht gehen. Wenn er schon hier sei, wolle er die Fragen aus dem Publikum auch diskutieren, meinte der Philosoph. Die Aufforderung wurde dankend angenommen und das Abendessen von alle Interessierten um weitere zwei Stunden verschoben.