Tapfer schreitet er durch Anderswelten
Fabelwesen, Monster und Co: Michael Toggweiler macht in seiner sozialanthropologischen Dissertation Jagd auf sie. Zur «Nacht der Forschung» am 23. September porträtiert «uniaktuell» Forschende der Uni Bern in loser Folge.
«uniaktuell»: Herr Toggweiler, worüber forschen Sie im Augenblick?
Michael Toggweiler: Ich forsche über die «Pygmäen», jene mythologische Grenzwesen, die immer wieder auf verschiedenen Kontinenten entdeckt worden sein sollen und in der frühen Anthropologie ein Rolle gespielt haben. Seit der Antike wurde der Mythos über das Fabelvolk weitergesponnen, von Asien über Lappland bis nach Ostafrika, wo man schliesslich einer tatsächlich existierenden, kleinwüchsigen Menschengruppe die Bezeichnung mitsamt ihrem mythologischen Ballast überstülpte. Es geht mir darum aufzuzeigen, wie solche mythische Figuren, gar Mischformen zwischen Mensch und Tier entstehen, und welche Rolle solche Wesen wiederum in der Konturierung des frühneuzeitlichen «Menschen» spielten und noch immer spielen. Ich untersuche anthropologische Klassifizierungen zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert anhand von Erzählungen über «Pygmäen». Ich durchforste für meine Dissertation rund 500 Quellen in sechs Sprachen.
Er entwirrt Mythen von Fabelwesen: Sozialanthropologe Michael Toggweiler. (Bild: bj)
Wieso haben Sie dieses Forschungsfeld gewählt?
Ich bin ein notorischer Zweifler und interessiere mich für die Bildung von Kategorien aller Art. Ich frage mich, wie scheinbar vertraute Identitäten und Differenzen entstehen. In der Sozialanthropologie kann ich so einen anthropologischen Blick auf die Anthropologie selbst werfen und deren Forschungsgegenstände hinterfragen. Zudem bin ich ein Archivtyp und mag alte Bücher.
Was gab den Ausschlag, Wissenschaftler werden zu wollen?
Ich gehe den Dingen gerne auf den Grund. Und ich schreibe gerne.
Was schätzen Sie besonders an Ihrer Arbeit an der Uni Bern?
Dass ich tun kann, was ich will! Ich konnte mein Thema selber wählen und kann sehr unabhängig forschen. Die Uni Bern hat eine gute Infrastruktur und gute Bibliotheken. Es ist zwar nicht eine geisteswissenschaftliche Hochburg wie Heidelberg oder Göttingen, aber es lässt sich hier durchaus gut arbeiten. Da ich aus dem Emmental komme, ist Bern zudem meine Heimatstadt, und ich fühle mich wohl hier.
Wo stehen Sie in zehn Jahren?
Das weiss ich nicht, vielleicht als Postdoc in einem interdisziplinären Umfeld zwischen Philosophie, Sozialanthropologie und Geschichte. Ich schätze ein solch kritisches Umfeld wie es etwa die Graduiertenschule IASH in Bern bietet. Oder ich habe zur Hälfte einen Brotjob und einen Lehrauftrag. Alles ist sehr offen, es ist fast beängstigend.
Welchen Nutzen hat die Gesellschaft von Ihrer Forschung?
Ob meine Arbeit im neoliberalen Sinn einen Gewinn ausschüttet? Nein, aber ausserhalb der Universität mögen Anderswelten oder Monströses wie mythische Figuren womöglich interessieren. Vielleicht kann meine Arbeit, wenn am Schluss vielleicht ein Buch daraus entsteht, auch Anlass dazu geben, scheinbar Vertrautes in Frage zu stellen.
Zur Person
Michael Toggweiler ist Doktorand am Institut für Sozialanthropologie der Universität Bern.
Nacht der Forschung
Bei archäologischen Ausgrabungen mit anpacken oder beim Poker Klimagott spielen – Ausprobieren heisst es am 23. September 2011 an der schweizweit einzigen «Nacht der Forschung» an der Universität Bern. Über 100 Forschende aus allen Fachrichtungen suchen an rund 50 Ständen mit spannenden Präsentationen den Dialog mit der Gesellschaft. Die Nacht der Forschung findet rund ums Hauptgebäude der Universität statt. Ein breites kulinarisches Angebot mit Essständen und Bars sowie kulturelle Intermezzi runden das Programm ab.