Er kennt sich mit Identität aus
Muslime in der Schweiz: Der Medien-Dauerbrenner wirft Fragen nach Identität und Fremdsein auf. Islamwissenschaftler Marius Rohrer zeigt den gesellschaftlichen Umgang mit dem Thema auf. Zur «Nacht der Forschung» am 23. September porträtiert «uniaktuell» Forschende der Uni Bern in loser Folge.
«uniaktuell»: Herr Rohrer, worüber forschen Sie im Augenblick?
Das Thema meiner Dissertation ist, wie Muslime in der Schweiz wahrgenommen werden und wie mit Spannungen rund um religiöse Vielfalt umgegangen wird. Mit welchen Eigenschaften Muslime in Medienberichten, politischen und behördlichen Dokumenten dargestellt werden, beeinflusst letztlich konkrete Lösungen bei allfälligen Konflikten. Ich will also aufzeigen, wie die involvierten gesellschaftlichen Akteurinnen und Akteure, wie etwa Politiker und Behörden, mit sozialer Vielfalt umgehen.
Auch in der Schweiz entwickelt sich eine zunehmend pluralistische Gesellschaft: Islamwissenschaftler Marius Rohrer. (Bild: wem)
Wieso haben Sie dieses Forschungsfeld gewählt?
Der Entwicklungsprozess zu einer pluralistischen Gesellschaft geht nun seit einigen Jahrzehnten vor sich und ist auch in der Schweiz eine Tatsache. Dies erfordert einen konstruktiven Umgang mit Anderssein, keine Ausgrenzung wie beispielsweise bei der Minarett-Initiative: Dort zeichneten die Initianten ein Bild der Schweiz(er) über den Ausschluss einer Minderheit – ähnlich übrigens wie bei der «Schwarzenbach-Initiative» gegen Überfremdung im Jahre 1970, als Süditaliener als kulturell inkompatibel mit der Schweiz dargestellt wurden.
Was gab den Ausschlag, Wissenschaftler werden zu wollen?
Das ist ein langer Prozess, der vom Wunsch getrieben wird, das Funktionieren der Welt da draussen einordnen zu können. Dabei geht es mir weniger um Inhalte als um allgemeine Fragestellungen zum Verhältnis von Identität und konstruktiven Formen des Zusammenlebens in unserer heutigen pluralistischen Gesellschaft.
Was schätzen Sie besonders an Ihrer Arbeit an der Uni?
Es ist das grosse Privileg, einen Schritt zurückzugehen und einen Beobachterstatus einnehmen zu können. Ohne diesen Abstand zur Gesellschaft funktioniert die Reflexion unserer Denkmuster und Handlungsmöglichkeiten nicht. Die Uni muss diesen Abstand verteidigen, um die Selbstreflexion als Bedingung für gesellschaftlichen Fortschritt zu gewährleisten – und nicht bloss Forschung auf Bestellung zu betreiben.
Wo stehen Sie in zehn Jahren?
Als persönliches Ziel setze ich mir, geistig flexibel zu bleiben und ein allgemeines Interesse an der Welt zu behalten. Auf der Forschungsebene will ich weiterhin konstruktive Lösungsansätze liefern, damit die Welt besser verstanden wird. Zudem möchte ich auf betrieblicher und politisch-administrativer Ebene auch einen Beitrag zur praktischen Umsetzung dieser Vorschläge leisten – zum Beispiel als Berater.
Welchen Nutzen hat die Gesellschaft von Ihrer Forschung?
In meiner Tätigkeit beobachte ich, wie Identität und Fremdheit auf der kommunikativen Ebene hergestellt werden und wie sich dies auf das soziale und politische Handeln in der Gesellschaft auswirkt. Ich zeige diesen Prozess für die gesellschaftlichen Akteure auf und biete ihnen Handlungsalternativen an nach dem Motto: Es geht auch anders als mit Ausgrenzung. Vielfalt ist also nicht zwingend ein Problem, sondern kann aus meiner Sicht auch ein gesellschaftliches Potenzial und eine Ressource sein.
Zur Person
Marius Rohrer ist Doktorand am Institut für Islamwissenschaft und Neuere Orientalische Philologie.
Nacht der Forschung
Bei archäologischen Ausgrabungen mit anpacken oder beim Poker Klimagott spielen – Ausprobieren heisst es am 23. September 2011 an der schweizweit einzigen «Nacht der Forschung» an der Universität Bern. Über 100 Forschende aus allen Fachrichtungen suchen an rund 50 Ständen mit spannenden Präsentationen den Dialog mit der Gesellschaft. Die Nacht der Forschung findet rund ums Hauptgebäude der Universität statt. Ein breites kulinarisches Angebot mit Essständen und Bars sowie kulturelle Intermezzi runden das Programm ab.