Kleine Moleküle ganz gross

Chemie ist alles – alles ist Chemie: Ob in der Küche, bei der Bekämpfung von Krankheiten oder beim Finden von Energieformen der Zukunft. Robert Häner faszinierte in seinem öffentlichen Vortrag im Rahmen von «BioChemie am Samstag» mit verblüffenden Live-Experimenten.

Von Matthias Meier 14. November 2011

Die Dimensionen der Chemie sind kaum vorstellbar – denn die Wissenschaft bewegt sich auf der Ebene der Moleküle: Ein einzelnes Molekül im menschlichen Körper steht etwa im gleichen Grössenverhältnis wie ein Wassertropfen zur Weltkugel. Bei solch unfassbaren Vorstellungen verwundert es nicht, dass vor Jahrhunderten die Pioniere der chemischen Wissenschaft auf irrationale Kräfte vertrauten: «Die Alchemisten beteten vor ihren Experimenten zu Gott», erzählte Robert Häner vom Departement für Chemie und Biochemie in seinem Referat. Der grundlegende Ansporn war allerdings damals schon der selbe wie heute: «Man wollte etwas Neues entdecken.»

Sprache, Modelle und Darstellung der Chemie verbesserten sich über die Jahrhunderte massiv. «Heute reicht ein Klick am Computer und schon werden komplexeste Moleküle abgebildet», schwärmt Häner. Das Image der Chemie habe in letzter Zeit einen Aufschwung erfahren: «Noch vor 30 Jahren hatte die Branche einen schlechten Ruf. Schwere Unfälle und Umweltverschmutzung sorgten für Aufsehen und brachten negative Schlagzeilen. Heute stellen wir fest, dass Chemie salonfähig ist. Denn: Chemie fägt.»


Chemie ist in: Eine Sondermarke der Schweizerischen Post zum UNO-Jahr der Chemie 2011. (© Foto Die Schweizerische Post)

Von farbigen Flüssigkeiten und fluoreszierenden Eiern

Chemiker Häner und sein Assistententeam erbrachten sogleich den Beweis: In einer Reihe von Live-Experimenten zogen sie das Publikum in ihren Bann. Dass Kochen eine Abfolge komplexer Reaktionen, Verbindungen und Abspaltungen ist, bei denen je nach Umgebung verschiedene Ergebnisse resultieren, zeigten die Forscher anhand eines Experiments mit Blaukraut-Saft: Der Saft wurde in verschiedene Säuremilieus gegeben, wobei der pflanzliche Farbstoff des Kohls – Cyanidin – aufgrund seiner elektronischen Eigenschaften ein breites Spektrum an Farben annahm. Je saurer die Lösung, desto roter die Farbe. In basischen Lösungen jedoch nahm der Saft grüne und gelbe Farbtöne an.

Eosin, ein anderer Farbstoff, färbte früher als Lippenstift den Mund der Frau rot. Eosin hat die besondere Eigenschaft, dass es fluoresziert und insbesondere Proteine färbt. Gesagt, getan: Nur wenige Handgriffe bedarf es den Berner Chemikern, um ein gekochtes Ei unter UV-Licht im abgedunkelten Saal rosarot erstrahlen und fluoreszieren zu lassen. «Bis vor wenigen Jahren galt der Farbstoff Eosin noch als völlig ungiftig. Heute ist er in der Lebensmittelbranche nicht mehr zugelassen», erklärte Robert Häner. Das kolorierte Ei wurde also nicht verspeist, dafür richteten die Chemiker ein Orangen-Apfel-Sorbet an, welches nach den Geboten der molekularen Küche mit reichlich flüssigem Stickstoff effektvoll gekühlt wurde.


Aus dem Stickstoffdampf der molekularen Küche steigt ein leckeres Sorbet empor. (Bild: dcb)

Chemische Wirkstoffe gegen Krankheit

Eine sehr grosse Bedeutung hat Chemie in der Bekämpfung von Krankheiten. Ihr verdankt die Menschheit zahlreiche Medikamente, deren chemische Verbindungen im Kampf gegen schädigende Moleküle eingesetzt werden. Robert Häner erläuterte das am Beispiel eines Medikaments gegen chronische Leukämie, das vom Berner Medizinchemiker Jürg Zimmermann entscheidend mitdesignt wurde: «Chronische Leukämie ist dank dem Arzneistoff Imatinib einfach und fast ohne Nebenwirkungen therapierbar.» Doch noch gibt es viele genetisch bedingte Krankheiten, für welche die Wissenschaft noch keine Lösungen gefunden hat. Die Herausforderung der Zukunft sei es laut Häner deshalb, die vorhandenen Kenntnisse über das menschliche Genom und chemische Wirkstoffe richtig einzusetzen und neue Therapieansätze zu finden.


Rot und fluoreszierend: Das Molekül Eosin. (Bild: Robert Häner)

Energie durch künstliche Photosynthese

Ebenso nötig sind chemische Innovationen für die Lösung des Energieproblems, welches durch das Schwinden der fossilen Brennstoffe droht. Chemisches Wissen ist etwa gefragt, wenn die Effizienz von Solar-Panels gesteigert werden soll. Ein grosses Potential sieht Robert Häner aber auch in der künstlichen Photosynthese: «Seit Millionen von Jahren gewinnen Pflanzen in ihren Blättern Zucker aus Kohlenstoff und Sonnenlicht. Dies ist der Ursprung des Lebens», so Häner. «In Zukunft muss der Mensch die Natur besser imitieren. Dabei hilft uns die Chemie, denn Chemie ist alles – und alles ist Chemie.»