Was uns die Gesundheit von Wildtieren lehrt

Ob ein Fuchs gesund oder krank ist, hat nicht für das Tier allein grosse Bedeutung. Sein Gesundheitszustand liefert auch wertvolle Hinweise auf die Umweltqualität sowie auf potenzielle Gefahren für den Menschen. Dies veranschaulichten Mirjam Pewsner und Adam Michel vom Zentrum für Fisch- und Wildtiermedizin am Berner Umweltforschungstag.

Von Daniela Baumann 04. Mai 2010

Die Schweiz ist kein typisches Wildtier-Land – könnte man meinen. Wer von Wildtieren spricht, denkt häufig eher an die afrikanische Serengeti und Tiere wie Zebras und Giraffen als an heimische Rehe und Steinböcke. «In der Schweiz finden sich jedoch kaum Gebiete ohne Wildtiere», betonte Mirjam Pewsner am Umweltforschungstag mit Verweis auf das zahlreiche Vorkommen von Reh, Rothirsch, Wildschwein und Rotfuchs. Diese Verbreitung zusammen mit der dichten Besiedelung führt zwangsläufig zu Interaktionen zwischen Wildtier und Mensch. Dabei kann es zur Übertragung von Krankheitserregern kommen – so genannte Zoonosen. Die Tollwut beispielsweise, die in der Schweiz erstmals 1967 nachgewiesen wurde, konnte zwar dank mit Impfstoffen präparierten Hühnerköpfen als Köder unter Kontrolle gebracht werden. «In den letzten Monaten ist allerdings im Nordosten Italiens die Zahl neuer Fälle explosionsartig angestiegen», warnte die Doktorandin am Zentrum für Fisch- und Wildtiermedizin. Mit einem Impfgürtel, der bis rund 100 Kilometer an die Schweizer Grenze heranreicht, versuche man die Krankheit in den betroffenen Gebieten zurückzudrängen.

Forscher bei der Arbeit im Feld
Ein Team des Zentrums für Fisch- und Wildtiermedizin fängt einen Hirsch. Bilder: Zentrum für Fisch- und Wildtiermedizin

Fuchs bringt Erreger in die Städte

Auch der Erreger des Fuchsbandwurms ist eine Zoonose. Im Mittelland und im Jura sind zwischen 30 und 60 Prozent der Füchse Träger des Erregers. Nach wie vor gibt es beim Menschen mit bis zu 20 Fällen pro Jahr sehr wenige Neuansteckungen. «Doch mit dem Vordringen des Fuchses in städtische Lebensräume steigt auch die Zahl der erkrankten Menschen», weiss Mirjam Pewsner. Betroffene leiden unter tumorartigen Zysten in der Leber, welche das Organ schleichend zerstören.

Pewsners eigentliches Fachgebiet ist aber die bovine Tuberkulose, eine weltweit verbreitete Infektionskrankheit der Rinder. Sie befällt hauptsächlich die Lungen und wird über Tröpfchen, den Verzehr von ungenügend gekochtem Fleisch und den Konsum roher Milch auf den Menschen übertragen. Die Schweiz ist zwar seit 1960 von dieser Krankheit verschont geblieben, doch aus den Nachbarstaaten sind aktuelle Fälle bekannt, in welchen sich Rinder bei Wildtieren angesteckt haben. Umgeben von betroffenen Ländern engagiert sich die Schweiz im europäischen Projekt ERANET, dessen Ziel es ist, die Verbreitung der Tuberkulose bei Hirschen, Wildschweinen und Hausrindern zu überwachen. Auch Mirjam Pewsner ist für ihre Dissertation in die Erhebung involviert. In Zusammenarbeit mit Wildhütern und Jägern sammelt und analysiert sie Gewebeproben und Blut von Wildtieren; auch Hausrinder werden getestet. Vorläufiges Fazit der noch laufenden Untersuchung: «Es gibt bis jetzt keinen Hinweis einer Übertragung der Tuberkulose auf Hausrinder.»

Forscherin bei der Arbeit im Labor
Im Labor werden die Gewebeproben verarbeitet.

Wildtiere dienen als Bioindikatoren

Weniger für die Interaktion von Wildtieren mit dem Menschen als vielmehr mit ihrer Umwelt interessiert sich Adam Michel. Der angehende Doktorand untersucht schweizweit die Verbreitung der Babesiose bei Gämsen. Der erste in der Schweiz bekannte Fall der durch Zecken übertragenen Blutparasiten stammt aus dem Jahr 1965. «Vierzig Jahre hörte man anschliessend nichts mehr, bis 2005 und 2006 plötzlich fünf Todesfälle registriert wurden», berichtete Adam Michel in seinem Referat.

Untersuchungen zeigten, dass der Erreger Babesia capreoli auch bei gesunden Rehen vorkommt, und zwar bedeutend häufiger als bei Gämsen. Zudem sind Rehe auch viel häufiger von Zecken befallen. Sowohl die Infektion mit dem Krankheitserreger als auch der Befall mit Zecken seien vermehrt bei Tieren zu beobachten, die in tieferen Lagen leben», so der veterinärmedizinische Student weiter. Grundsätzlich sind Gämsen im Vergleich zu Rehen vor allem in höheren Lagen beheimatet. Folglich könnte das Auftreten der Krankheit bei Gämsen ein Effekt der Klimaerwärmung sein: «Die wärmeren Temperaturen führen möglicherweise zu einer grösseren Überschneidung der Lebensräume von Zecken, Rehen und Gämsen in den Alpen.» Der Gesundheitszustand freilebender Wildtiere wie der Gämse kann durch Veränderungen ihrer Umwelt – beispielsweise infolge des Klimawandels – beeinflusst werden. Die Wildtiergesundheit gilt folglich als Indikator der Umweltqualität.