Unsere Vorstellung ist «nur» zweidimensional

Die Bilder vor unserem geistigen Auge unterscheiden sich von den Bildern, die wir tatsächlich sehen: Während die Realität dreidimensional ist, hat die Imagination nur zwei Dimensionen, wie Berner Psychologen herausgefunden haben. Und das ist womöglich gar nicht schlecht so.

Von Bettina Jakob 07. Januar 2010

Nicht nur ihr Lächeln zieht die Besucher in den Bann, auch ihr Blick ist geheimnisvoll: Wer an Mona Lisa im Louvre vorbeigeht, dem schaut die berühmte Frau auf dem Gemälde auf Schritt und Tritt nach: Das ist der sogenannte Mona-Lisa-Effekt. Dieses Phänomen tritt nur in einer zweidimensionalen Darstellung eines Objekts auf, stünde Mona Lisa in Fleisch und Blut im Pariser Museum, würde einem der Blick nicht folgen. Das Team um Fred Mast des Instituts für Psychologie der Uni Bern machte sich in seiner aktuellen Studie diese Illusion zunutze, um die menschliche Wahrnehmung und die Vorstellungskraft miteinander zu vergleichen. Mit folgendem Resultat: Während man ein Objekt stets dreidimensional wahrnimmt, ist die Vorstellung dessen nur ein zweidimensionales Bild vor dem geistigen Auge.

Hirn
Das Bild verliert in der Vorstellung eine Dimension. Bild:istock.com

Vom Blick der Büste verfolgt

In Masts Experiment war nicht Mona Lisa, sondern eine Büste einer Unbekannten – und in einer zweiten Variante ein Kubus aus Holz – das Objekt des Interesses. Die 16 Probandinnen und Probanden betrachteten die Büste als dreidimensionales Original, als Fotographie und stellten sie sich schliesslich vor dem geistigen Auge vor. Im Anschluss gaben sie die Blickrichtung der Büste an, während sie ihren Standort wechselten. Der Blick der 3D-Büste wurde von den Testpersonen als fix wahrgenommen, der Blick auf dem zweidimensionalen Bild folgte den Betrachtenden ebenso wie der Blick der imaginierten Büste. «Unsere Vorstellung gleicht also eher einem Foto als dem wirklichen 3D-Sehen», so Mast. Erstaunlich sei dabei ausserdem, dass bei der Vorstellung auch das Sehhirn aktiviert sei, obwohl es keinerlei visuelle Reize von aussen gebe – wie die Berner Psychologen zusätzlich herausgefunden haben.

Experimentaufbau
Das Experiment: Eine Testperson (links) schätzt den Blickwinkel der Büste (rechts) ein. Bild:zvg

Vorstellung von der Wirklichkeit unterscheiden

Fred Mast sieht in diesem Mechanismus einen möglichen Sinn: «Es könnte sein, dass wir durch diesen Unterschied Vorstellungen als solche entlarven können.» Denn nicht alles, was in unserer Vorstellung abläuft, hat auch tatsächlich stattgefunden. Wie schwierig eine Durchmischung von Wahrnehmung und Vorstellung sein könne, zeige sich etwa bei psychischen Erkrankungen wie der Schizophrenie, sagt Mast. Bei dieser Erkrankung hören die Betroffenen zum Beispiel vorgestellte Stimmen im Kopf wirklich.

Geistiges Training hilft

bj. Die Vorstellung ist nur ein zweidimensionales Bild – birgt aber trotzdem ein grosses Potenzial. Ein internationales Forscherteam um den Psychologen Fred Mast fand heraus, dass man durch die Vorstellung auch die wirkliche Wahrnehmung verbessern kann. «Es ist erstaunlich, dass ein vorgestellter Reiz auch in Wirklichkeit einen Effekt hat», so Mast. Die Studie, die in «Current Biology» erschienen ist, beweist einmal mehr, dass mentales Training tatsächlich einen Nutzen bringt. Herausgefunden haben die Wissenschaftler dies mit Bildern dreier senkrechter Striche, wobei der mittlere Strich mit kleinsten Abweichungen gegen den linken oder rechten Strich verschoben wurde. Die Testpersonen führten diese Übung vor dem geistigen Auge durch und waren dann in der Lage, minime Abweichungen, die ihnen auf dem Bildschirm gezeigt wurden, genauer zu erkennen als eine Kontrollgruppe, die anstatt des Vorstellungstrainings mit einer Aufmerksamkeitsaufgabe beschäftigt war.

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