Zwischen virtueller Welt und harter Wirklichkeit

Mit Blaulicht zum Unfallort und mit einer 3D-Brille ab in die Virtualität: Der Alltag von Bartholomäus Wissmath ist bewegt. Ein Besuch beim jungen Berner Medienpsychologen an der Unitobler.

Von Bettina Jakob 12. Februar 2010

Er taucht ein in fiktive Welten. Mit seinen Studien versucht der Psychologe Bartholomäus Wissmath die Effekte von Medien auf die TV-Zuschauerin oder den PC-Gamer zu beschreiben. «Wo genau befindet sich jemand beim Filmeschauen? Auf dem Sofa oder mitten in der Filmszene? Kann man womöglich an mehreren Orten gleichzeitig sein?». Solche Fragen beschäftigen den Medienpsychologen in seinem Forscheralltag an der Uni Bern. Ein paar Mal im Monat jedoch verlässt Wissmath die virtuelle Welt und blickt einer harten Realität ins Auge: Der 30-Jährige arbeitet nebenbei beim Rettungsdienst des Regionalspitals Emmental. Er rettet Leben – und hat ein Konzept für die Krisenintervention bei Rettungskräften entwickelt. Für Wissmath ist klar: Er braucht beide Welten – die hinterfragende der empirischen Medienpsychologie ebenso wie die angewandte im Rettungsdienst, die mit ihrer nackten Wirklichkeit, «niemals eine Sinnfrage aufkommen lässt».


Bereit für den Einsatz: Bartholomäus Wissmath braucht die «Unmittelbarkeit des Lebens». (Bilder: zvg)

Sein eigener Unfall machte ihn zum Retter

Ein Tauchunfall brachte Bartholomäus Wissmath an die Schwelle zwischen Leben und Tod. Er war 18 Jahre alt, und es geschah in einem Bergsee, erzählt er und nimmt die Brille von der Nase. «So zu erwachen ist nicht gerade das, was ein junger Mensch erwartet», so der Psychologe. Das Nahtoderlebnis und die damit verbundenen Folgen machten ihn nach einer ersten Ausbildung zum Erste-Hilfe-Mann bei Autounfällen und Herzattacken.

Nach seinem traumatischen Erlebnis im Wasser plagten Bartholomäus Wissmath Albträume, unberechenbare Panikattacken suchten ihn heim, eine permanente Schreckhaftigkeit regierte seinen Alltag – Details mag er nicht breit schlagen. «Ich weiss, wie man sich in einer extrem belastenden Situation fühlt», so Wissmath. Darum weiss er auch, wie wichtig es bei einem Rettungseinsatz ist, nicht nur die Verletzten zu bergen, sondern sich auch um die Zeugen und die Angehörigen der Verunglückten zu kümmern: Sein eigens für das Regionalspital Emmental entwickelte Handlungsschema sieht vor, dass das Rettungsteam im gleichen Einsatz nicht nur notfallmedizinische Versorgung leistet, sondern viel Gewicht auch auf die Krisenintervention bei Verwandten und Zeugen legt.

Mit einfachen Anweisungen zum Erfolg

Unfallzeugen sollen nicht in die Tiefe eines Traumas gerissen werden. Um dies zu vermeiden, brauche es manchmal gar nicht so viel, wie Wissmath an einem Beispiel erklärt: Waldarbeiter konnten trotz Reanimationsbemühungen ihren von einem fallenden Baum getroffenen Kollegen nicht retten. Als Wissmaths Rettungsteam eintraf, konnte nur noch der Tod festgestellt werden. «Die Bestätigung, dass sie alles richtig gemacht haben, liess die Betroffenen aufatmen», so der Psychologe. Mit den richtigen Worten der Wertschätzung durch die professionellen Rettungskräfte könne man Schuldgefühlen vorbeugen.

Für den Care-Einsatz hat Wissmath eine einfache, klare Anleitung aufgestellt, wie Personen im Schock erreicht werden können: «Wir versuchen, ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen – durch Anreden, Anschauen, Anhören. Mit einer verständnisvollen, direkten Reaktion schafft man es, die Ausnahmesituation zu stabilisieren», so Wissmath. Ist eine Person wieder ansprechbar, erhält sie Informationen zu Stressreaktionen, die möglicherweise auftreten werden, etwa Schlaflosigkeit. «Dazu haben wir eine kleine Broschüre zusammengestellt, die wir rund 250 Mal pro Jahr abgeben.» Die Betroffenen erhielten aber auch Unterstützung in organisatorischen Dingen, man rufe etwa Verwandte an und bitte sie her. Manchmal reiche man ihnen auch – ganz praktisch – einen Orangenjus oder ein Schokoriegel. «Eigentlich machen wir etwas ganz Niederschwelliges – etwas, das jedermann kann», so der Psychologe. Man müsse es nur machen, meint er mit einem Schulterzucken. «Bei Bedarf lassen wir auch das kantonale Care-Team kommen.»


3D-Brillen entführen in eine virtuelle Welt. Ein spannendes Feld für den Medienpsychologen Bartholomäus Wissmath.

Virtualität und Realität verbinden

Warum er sich als Rettungsmann stets an diese Grenzorte des Lebens begibt, nachdem er seines ein zweites Mal geschenkt bekam? «Es ist diese Unmittelbarkeit des Lebens, die ich brauche. Das ist etwas ganz anderes, als wenn man sich mit formalen Richtlinien herumschlagen muss, die für die Publikation von Forschungsergebnissen erforderlich sind», sagt Bartholomäus Wissmath schmunzelnd und lehnt sich im Stuhl zurück.

Aber der Rettungsmann und Medienpsychologe will weder aufs Eine noch aufs Andere verzichten – sondern beides vielleicht gar verbinden: «Virtuelle Applikationen werden in der Trauma-Therapie bereits eingesetzt», so Wissmath. Studien zeigen auch, dass Probandinnen und Probanden in virtueller Realität – also beim Durchspielen von Szenen mit 3D-Brillen – ihre Ängste wie Spinnen- oder soziale Phobie heilen können. So kann das Eintauchen in eine virtuelle Welt auch ein Auftauchen bedeuten. Ein Auftauchen in ein unbelasteteres Leben.