Die Ameise mit der Spürnase

Sie riecht, was andere nicht riechen: Eine südeuropäische Ameisenart kann die Duftspuren einer anderen Art lesen und deren Futterquellen erschliessen, wie ein Berner Ökologe herausgefunden hat. Die Spionage-Fähigkeit könnte ein Schritt in der Evolution bedeuten.

Von Bettina Jakob 22. Oktober 2010

Sie krabbelt emsig zurück zum Bau: Eine Ameisen-Arbeiterin hat soeben Futter entdeckt und schleppt das erste Stück einer toten Raupe Richtung Nest. Gleichzeitig legt sie eine Duftspur, um ihren Kolleginnen den Weg zur Beute zu weisen – die typische Art der Kommunikation im Ameisen-Sozialstaat. Andere Ameisenarten können diesen Geruch nicht lesen, die Duftmoleküle sind nämlich artspezifische Pheromone. Zumindest dachten das die Forschenden bislang. Florian Menzel vom Institut für Ökologie und Evolution der Universität Bern hat nun in Südeuropa die Art Camponotus lateralis untersucht, welche die Spuren einer anderen Ameisenart – Crematogaster scutellaris – lesen kann und so «Futterspionage» betreibt. Diese Forschungsergebnisse sind nun im Journal «Ecological Entomology» publiziert.

Zwei Tanganyika-Clowns im Aquarium
Die Ameisen-Assoziation aus Südostasien: Crematogaster modiglianii (links) und die deutlich grössere Camponotus rufifemur. Bilder: Zvg

Die Spuren der anderen lesen

Beschrieben hat Menzel die ungewöhnlichen Riechfähigkeiten in Laborstudien mit Pheromonen, die er aus den Ameisendrüsen extrahiert hat. Bei den Tests mit künstlich angelegten Routen kam heraus, dass Camponotus nicht nur die eigenen Pheromon-Moleküle, sondern eben auch diejenigen von Crematogaster erkennen kann – umgekehrt jedoch nicht. Warum die eine Ameisenart plötzlich die Fährten einer anderen Spezies entschlüsselt, ist auch dem Zoologen noch nicht klar. Ein Schritt in der Evolution? «Das ist schon möglich, denn für Camponotus hat die Schnüfflerei schliesslich einen Nutzen», so Menzel.

Die eine Art nutzt die andere aus, was aber der bestohlenen Art nicht nachhaltig schadet: «Die Spionin Camponotus wird nämlich von Crematogaster dominiert und immer wieder weggedrängt», erklärt Florian Menzel. Er geht davon aus, dass dadurch die von Crematogaster erschlossenen Nahrungsquellen nicht massgeblich durch die andere Ameisenart geplündert werden. Diese Art von Interaktion zwischen zwei Arten bezeichnen die Zoologen als Kommensalismus.

Symbiose in Asien

Ein ähnliches Zusammenleben von Ameisen hat Menzel bereits in Südostasien entdeckt – ebenfalls zwischen zwei Vertreterinnen dieser beiden Gattungen. In jenem Fall geht das ungewöhnliche Nebeneinander aber noch weiter: Die beiden Arten kommen zusammen auf kleinstem Raum vor, ja sie hausen gar im gleichen Nest. Man könne gar von Symbiose sprechen, denn diese beiden Arten bekämpfen sich nicht wie die beiden in Europa, so der Entomologe. Dass sich Crematogaster in Asien friedlicher verhält, führt er auf die Verteidigungsqualitäten der südostasiatischen Camponotus-Art zurück: «Diese Ameisen sind stark, und verteidigen das gemeinsame Nest – was der Mitbewohnerin Crematogaster wohl durchaus entgegenkommt», so Menzel.

Florian Menzen bei der Arbeit im Labor
Forscher Florian Menzel macht Spurfolgeversuche mit Nestern von Crematogaster und Camponotus.

Die Duftmoleküle im Labor

Florian Menzel hat noch eine weitere Erklärung für das friedliche Zusammenleben der beiden Ameisen: Die chemische Analyse ihrer körpereigenen Duftnoten hat nämlich ergeben, dass die Duftmoleküle der beiden südostasiatischen Symbionten ungewöhnlich gross sind und deshalb wohl auch nicht so rege aufgenommen werden, also nicht so stark riechen. Bei dem südeuropäischen Camponotus-Crematogaster-Paar sieht dies ganz anders aus: Die Duftnoten beider Arten bestehen aus kleineren Molekülen und werden wohl besser registriert und damit als uneigen erkannt. «Womöglich ist dies der Grund, dass diese beiden Spezies aggressiver sind als die südostasiatischen», vermutet Menzel. Dass die europäische Camponotus-Ameise im Nahkampf unterlegen ist, vermag sie jedoch nur wenig zu beeindrucken. Schliesslich kompensiert die Schnüfflerin diese Niederlagen auf ihre Weise – mit Spionage und Futterraub.