Dem «Rätsel vom Thunersee» auf der Spur

Für ihre Forschung an Thunersee-Felchen haben Daniel Bernet und David Bittner den Berner Umwelt-Forschungspreis 2009/10 erhalten. Die Biologen identifizierten Ursachen mysteriöser Veränderungen der Geschlechtsorgane – und entkräfteten Bedenken in der Bevölkerung.

Von Daniela Baumann 19. März 2010

Um öffentliche Aufmerksamkeit rund um ihr Forschungsthema mussten sich David Bittner und Daniel Bernet nie sorgen: Gross waren das mediale Interesse und wild die Spekulationen über mögliche Gründe, als im Jahr 2000 Berufsfischer bei Felchen im Thunersee morphologische Veränderungen der Geschlechtsorgane – so genannte Gonadendeformationen – beobachteten. «Diese Entdeckung war für die Medien ein gefundenes Fressen; sogar die New York Times berichtete darüber», erinnert sich Daniel Bernet. Die zwei «Hauptverdächtigen» waren schnell ausgemacht: die zwischen 1920 und 1963 im See versenkten Munitionsabfälle der Armee und die via Kander in den See geleiteten Abwässer vom Lötschberg-Tunnelbau. «Damit war das Thema nicht mehr ein rein wissenschaftliches Problem», so Bernet. Die Bevölkerung hatte Bedenken. Was würde eine solche Verunreinigung für den Thunersee als Trinkwasserquelle und touristischen Anziehungspunkt bedeuten?

Aus 13 Nominationen obenaus geschwungen

Neun Jahre intensive Forschungsarbeit später können Daniel Bernet und David Bittner zahlreiche potenzielle Ursachen für die Gonadendeformationen der Felchen ausschliessen. Auch Rückstände aufgrund der Munitionsablagerungen und der NEAT-Baustelle gehören dazu. Stattdessen konzentrieren sich die Untersuchungen heute auf das Futter sowie auf eine Deregulation des Immunsystems der betroffenen Felchen.
Die beiden Berner Biologen haben damit nicht nur zukunftsweisende Forschungserkenntnisse generiert, sondern auch wesentlich zur Versachlichung der in der Öffentlichkeit kontrovers geführten Diskussion beigetragen. Für diese Leistung wurden Daniel Bernet und David Bittner mit dem Berner Umwelt-Forschungspreis ausgezeichnet. Insgesamt waren 13 Projekte für den mit 15'000 Franken dotierten Hauptpreis nominiert. Der Preis wird seit 1997 alle zwei Jahre von der Universität Bern und dem Handels- und Industrieverein des Kantons Bern vergeben; diesmal war als zweiter Hauptsponsor die CSL Behring AG beteiligt.

Simulation divergierender Platten
Daniel Bernet bei Probenahmen in der Fischzucht Faulensee. Bilder: Zentrum für Fisch- und Wildtiermedizin, Universität Bern

Mehrere tausend Felchen untersucht

Die Ursachen für die auffällige Häufung missgebildeter Geschlechtsorgane bei Thunersee-Felchen vermuteten die Wissenschaftler in der Umwelt und der Genetik. So kam im Jahr 2004 die interdisziplinäre Zusammenarbeit des Post-Doktoranden am Zentrum für Fisch- und Wildtiermedizin, Daniel Bernet, und des Doktoranden am Institut für Ökologie und Evolution der Universität Bern, David Bittner, zustande. Um zu zeigen, wie sich die Felchen im Thunersee von ihren Artgenossen anderer Gewässer unterscheiden, analysierten die beiden Forscher Tausende von Fischen. «Jeder einzelne wurde danach wie üblich von den Berufsfischern verkauft und landete schliesslich irgendwo auf einem Teller», versichert David Bittner mit einem Schmunzeln. Anhand mehrjähriger Experimente mit weiteren Fischen konnten die Biologen anschliessend einige umweltbedingte und genetische Faktoren ausschliessen. Dazu zählen unter anderen hormonaktive Substanzen, das Thunerseewasser selbst sowie Inzuchteffekte.

Bittner auf einem Boot auf dem Thunersee mit einem Felchen in der Hand
David Bittner (links) bei der Feldarbeit auf dem Thunersee mit Berufsfischern.

Nahrungspräferenzen ausschlaggebend

Im so genannten Aufzuchtversuch, mit dem unter anderem der Einfluss des Futters analysiert wird, stiess Daniel Bernet auf die eine Nadel im Heuhaufen. Denn jene Versuchsfelchen, die mit Zooplankton aus dem Thunersee gefüttert worden waren, entwickelten bedeutend häufiger Gonadenveränderungen als Felchen, die Trockenfutter vorgesetzt erhalten hatten. Bei Plankton handelt es sich um mikroskopisch kleine tierische Organismen im Wasser. Die zweite Nadel respektive eine zweite Spur entdeckte David Bittner in einer Autoimmunkrankheit, die bei chronischem Verlauf zu Organschädigungen führt. Inwiefern diese Autoimmunitätserkrankung durch einen externen Stoff aus der Umwelt – möglicherweise Substanzen im Zooplankton – ausgelöst wird, wissen die Wissenschaftler noch nicht. «Das Rätsel vom Thunersee ist noch nicht gelöst. Aber wir befinden uns auf einem viel versprechenden Weg.»

Anerkennungspreis an Valeria Kunz

db. Für ihre Lizentiatsarbeit «Vom Bergler zum Greenkeeper? Strukturelle Umbrüche in Andermatt» wurde Valeria Kunz mit einem Anerkennungspreis des Berner Umwelt-Forschungspreises geehrt. Die Soziologin zeigte auf, wie Andermatter Bergbauern mit dem touristischen Grossprojekt des ägyptischen Investors Samih Sawiris umgehen. Damit leistete Kunz einen wertvollen Beitrag zur aktuellen Diskussion um die Entwicklungsperspektiven des Alpenraumes. Die Arbeit ist in der Schriftenreihe Neue Berner Beiträge zur Soziologie als Buch erschienen.

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