Frauen sollen selbstbewusster auftreten
Eines Tages steht jede Studentin an der Schwelle zum Berufsleben. Was es braucht, um gerade als Frau gut vorbereitet zu sein, darüber sprach unter anderen Nationalrätin Edith Graf-Litscher an einer Veranstaltung der «Career Days» an der Universität Bern.
«Für den gleichen Lohn arbeiten Männer vier, Frauen fünf Tage.» SP-Nationalrätin und Mitglied von «Business & Professional Women» Edith Graf-Litscher griff gleich zu Beginn ihres Vortrags im Rahmen der «Career Days» ein heisses Thema auf: die Lohnungleichheit zwischen den Geschlechtern. Gemäss Lohnstrukturerhebung des Bundesamtes für Statistik ist die Differenz von knapp 20 Prozent insbesondere auch darauf zurückzuführen, dass Frauen in Kaderpositionen nach wie vor untervertreten sind. Umso wichtiger sei – so die Bundespolitikerin –, dass Frauen mit den richtigen Lohnvorstellungen ins Bewerbungsgespräch gingen und sich keinesfalls unter Wert verkauften: «Männer stellen klare Lohnforderungen, Frauen dagegen hinterlassen häufig den Eindruck, der Lohn sei ihnen nicht so wichtig, Hauptsache die Arbeit gefalle.»
Edith Graf-Litscher wusste viel von ihren eigenen Erfahrungen als Frau in Beruf und Politik zu erzählen. (Bild: Daniela Baumann)
Eine grosse Hürde für eine Frau mit Karrierewünschen stellt auch die Vereinbarung von Familien- und Arbeitsleben dar. «In unserer Gesellschaft herrscht noch immer die Vorstellung vor, wer Karriere machen wolle, müsse 100 Prozent arbeiten», erklärte Graf-Litscher. Viele Leute hätten das Gefühl, eine Arbeit in Teilzeitpensen sei weniger Wert als eine Vollzeitstelle. «Im Gegensatz zur Privatsphäre ist im Berufsalltag der Mensch jedoch sehr wohl ersetzbar», so ihr Standpunkt. Beruflich ambitionierte Frauen müssen sich wegen ihrer Doppelrolle häufig rechtfertigen und um Akzeptanz kämpfen. Edith Graf-Litscher kennt dies aus eigener Erfahrung: Als junge Frau stiess sie in einem damals männerdominierten Beruf auf Ablehnung seitens ihrer Arbeitskollegen. Nur dank eines engagierten Personalverantwortlichen erhielt sie ihre Chance und konnte sich fortan mit guter Arbeit Respekt verschaffen.
Karriere oder doch lieber zurück an den Herd?
Zahlreiche Äusserungen von Studentinnen liessen während der Veranstaltung erkennen, dass die Zukunftsplanung mit Familienwunsch einerseits, Karrierewunsch andererseits ein sehr präsentes Thema ist, das beschäftigt. Das Dilemma ist offensichtlich: Teilweise werden Frauen Vorwürfe gemacht, weil sie nach der Geburt ihres Kindes zuhause bleiben. Teilweise müssen sich Frauen aber auch kritisieren lassen, wenn sie trotz Kindern ihre berufliche Laufbahn nicht unterbrechen. Hinzu kommt, dass die eigenen Vorstellungen auch mit jenen des Partners zusammenpassen müssen. Claudia Willen von der Abteilung für die Gleichstellung von Frauen und Männern der Universität Bern erlebt die partnerschaftliche Arbeitsteilung selber nicht als einmalige Entscheidung, sondern als fortwährenden Prozess: «So stellt sich im konkreten Fall die Frage, wer zuhause bleibt, wenn plötzlich ein Kind krank ist.»
Für Edith Graf-Litscher ist angesichts der Vielzahl an Möglichkeiten und Meinungen, wie Familie und Beruf nebeneinander Platz haben, vor allem wichtig: «Alle müssen die Wahl haben, und das Umfeld hat den Entscheid zu respektieren.» Und sie warnte davor, sich in seiner Karriereplanung vom Gedanken einschränken zu lassen, vielleicht bald einmal Kinder zu haben und deswegen beispielsweise von einer Weiterbildung abzusehen.
Selbstreflexion: Was macht mich einzigartig?
«Wenn ein Mann vor eine Menge tritt, ist er grundsätzlich überzeugt, dass das, was er zu sagen hat, wichtig ist und interessiert. Eine Frau überlegt eher, ob sie überhaupt etwas Wichtiges zu sagen hat.» Anhand dieses Klischees machte Edith Graf-Litscher darauf aufmerksam, dass Frauen es auch selber in der Hand haben, durch selbstbewusstes Auftreten ihre Karriere voranzutreiben. Es brauche ein Ziel, das allerdings nicht zu eng gefasst, nicht auf eine einzige Position fixiert sein sollte. Unabdingbar sei auch ein langer «Schnauf», doch plötzlich werde sich die Schleuse öffnen, weiss die Vizepräsidentin der SP Thurgau von ihrem eigenen Aufstieg. Auch Nora Willi, Inhaberin einer Consulting-Firma, machte den jungen Frauen Mut, sich auf die eigenen Qualitäten zu besinnen und Rückschläge nicht als persönliches Versagen zu werten: «Männer stellen sich bei einem Misserfolg viel weniger selbst in Frage als Frauen.»
Einsatz für- statt gegeneinander
In der Politik beobachtet Graf-Litscher aber auch folgendes Phänomen: «Frauen in hohen Positionen scheinen Mühe zu haben, andere Frauen auf gleicher Augenhöhe zu dulden.» Sie selbst sei denn auch eher von männlichen als weiblichen Kollegen gefördert worden. Nora Willi bestätigte, dass hier grosses Potenzial auf der Strecke bleibt. Denn im Gegensatz zu den Frauen beherrschten die Männer die gegenseitige Förderung ihresgleichen perfekt. «Vorbilder und Netzwerke – auch rein weibliche – sind deshalb sehr wichtig für den beruflichen Aufstieg einer Frau», lautet ein weiterer hilfreicher Tipp von Edith Graf-Litscher für die ausschliesslich weibliche Zuhörerschaft.