Das Strafrecht und der selbstbestimmte Tod

Sterbehilfe steht im Spannungsverhältnis zwischen Ethik, Recht und Religion. Der Umgang mit dem Tod ist schwierig. An einer Diskussion im aki, der katholischen Universitätsgemeinde Bern, diskutierten Experten über Sinn und Grenzen strafrechtlicher Regelungen am Sterbebett.

Von Nathalie Neuhaus 18. Mai 2009

Wo verlaufen die Grenzen von strafrechtlichen Regelungen am Sterbebett? Wie geht man damit um, wenn ein Patient nicht mehr leben will? Günter Heine vom Institut für Strafrecht und Kriminologie der Universität Bern erarbeitet zurzeit zusammen mit Vertretern aus Deutschland und Österreich einen neuen Gesetzesentwurf. Ausgangspunkt ist die Unsicherheit über zulässige Aktivitäten aus medizinischer Sicht. «Klarheit und bestimmte Wertgrundsätze müssen geschaffen werden», fand Heine. Wichtig sei eine rundum wirksame Schmerztherapie, die von medizinischen Experten entwickelt und individuell auf die einzelnen Patienten abgestimmt werde. Die Selbstbestimmung der Patienten sei das Herzstück des neuen Programms. Ebenso stehe die umfassende Aufklärung des Patienten im Vordergrund. «Wichtig ist, dass die Gesellschaft mit ins Boot gebracht wird», betonte Heine.

Hände
Der Sterbewunsch einer Person kann Angst und Unsicherheit verursachen. Bild: istock

Das Strafrecht soll Werte akzentuieren – nach dem Prinzip: Hier gilt ein klares Verbot und dort nicht. Die Palliativmedizin, welche eine lindernde Behandlung von Schwerkranken bis zu ihrem Tod erlaubt, soll bekannter gemacht und den Menschen die Vergänglichkeit des Lebens näher gebracht werden. «Auf jeden Fall braucht es gesetzliche Normen für die Ärzte, die sich verpflichten müssen, ihre Handlungen zu dokumentieren», sagte Heine. Ob beispielsweise eine lebenserhaltende Maschine abgeschaltet, eine Behandlungsmethode eingestellt wird oder nicht, sollte ausserdem mindestens von zwei Ärzten entschieden werden. Solche gesetzlichen Pflichten könnten Missbrauch vorbeugen.

Urteilsfähig oder nicht?

«In der Schweiz gibt es kein explizites Gesetz, das die assistierte Suizidhilfe regelt», sagte Petra Venetz vom Strafgericht Luzern in der Diskussionsrunde. In der Schweiz gelten unterschiedliche gesetzliche Regelungen, beispielsweise steht das Recht auf Leben, auf Privatsphäre und auf persönliche Freiheit in der Bundesverfassung. Neben den Standesregeln für Ärztinnen und Ärzte gilt schliesslich das Strafrecht selbst. «Die assistierte Suizidbeihilfe, wie sie Sterbehilfeorganisationen wie Dignitas und Exit praktizieren, befindet sich in einer Grauzone, die Fragen nach der Urteilsfähigkeit und Tatherrschaft hervorrufen», schilderte Venetz. In der Debatte um die straffreie Suizidbeihilfe steht denn die Frage nach der Urteilsfähigkeit der Sterbewilligen im Zentrum: Wann genau gilt jemand als urteilsfähig und wann nicht? Und wer entscheidet darüber? Die Urteilsfähigkeit von Patientinnen und Patienten – also ihren selbständigen Entschluss, dem eigenen Leben ein Ende zu setzen und diesen Entschluss in die Tat umzusetzen – zu bestimmen sei schwierig und umstritten.

Die Grenzen der Selbstbestimmung

«Die persönliche Begleitung und die Aufklärung von Patienten und Angehörigen über Schmerztherapie-Möglichkeiten sind wichtig», betonte Johannes Bükki, Leiter der Abteilung für Palliativmedizin am Inselspital Bern. Ziel sei es, den Patientinnen und Patienten eine gute palliativmedizinische Betreuung zu ermöglichen und alle Alternativen aufzuzeigen. «Die Menschen wollen von Geburt bis zum Tod alles bestimmen», so Bükki. Dank der Einbettung in die sozialen Netzwerke wie Familie und Freundeskreis könne eine optimale Autonomie der Patienten gewährleistet werden. Wo liegen die Grenzen der Autonomie? «Wird das ethische Prinzip der Autonomie losgelöst betrachtet, ist das problematisch», sagte Bükki. Eine Patientengeschichte müsse längerfristig betrachtet, stets hinterfragt und interdisziplinär behandelt werden.

«Auch im Recht spielt die Autonomie eine fundamentale Rolle», sagte Strafrechtsprofessor Günter Heine, «denn das Rechtssystem baut auf der menschlichen Selbstbestimmung auf.» In den letzten fünf bis sieben Jahren hätten Autonomie und Entscheidungsfreiheit des Indiviuums an Bedeutung gewonnen – was früher unvorstellbar gewesen wäre. Erst bei Fehlentwicklungen wird das Strafrecht eingesetzt. «Im Strafrecht ist Ethik immer vorhanden – Menschenwürde, Autonomie und Selbstbestimmungsrecht», betonte Petra Venetz vom Strafgericht Luzern.

«Dürfen wir eigentlich sterben?»

Die Wahrung der Würde im Sterben beinhaltet laut Markus Zimmermann, Dozent für angewandte theologische Ethik an der Universität Luzern folgende Schritte: einerseits Schmerzen und Leiden lindern, die bestmögliche Lebensqualität der Patienten sowie die Unterstützung der Angehörigen gewährleisten. Andererseits die Selbstbestimmung und Persönlichkeit der Sterbenden achten und den Teufelskreis der Einsamkeit und Isolation der Sterbenden durchbrechen. «Die palliativmedizinische Betreuung Sterbender sollte nicht erst im letzten Augenblick beginnen, sondern rechtzeitig», so der Theologe. Doch wo sind die Grenzen der Autonomie erreicht? Am Ende des Lebens? Und: «Dürfen wir eigentlich sterben?», wirft jemand eine letzte Frage in die Runde und beschreibt damit die generelle Sprachlosigkeit über das Sterben und den Tod in unserer Gesellschaft.