Bern, Hollywood und die Antimaterie

Berner Physik geht ins Kino: Was ist Wahrheit und was ist Fiktion im Blockbuster «Illuminati – Angels&Demons» nach dem Thriller von Dan Brown? Hanspeter Beck vom CERN klärt auf – kurz im folgenden Text, ausführlich an seinem Vortrag vom Dienstag, 19. Mai.

Von Bettina Jakob 17. Mai 2009

Sie sind ein unheimliches Paar: Die Materie, die jedermann anfassen kann, und die Antimaterie, unfassbar, mysteriös, die vielen ein Begriff aus der Physik ist – oder aus Dan Browns Bestseller «Illuminati», der nun als Hollywood-Film in den Kinos angelaufen ist: Tom Hanks versucht als Wissenschaftler den Vatikan zu retten, der vom Geheimbund der «Illuminati» bedroht wird – mit einem Kästchen, gefüllt mit einem Viertel Gramm Antimaterie, die im CERN, der Europäischen Organisation für Kernforschung in Genf, gestohlen wurde. Kommt ein viertel Gramm Antimaterie mit einem viertel Gramm Materie in Berührung, wird eine gewaltige Explosion von zehn Kilotonnen TNT erzeugt. Das entspricht in etwa der Wucht der Hiroshima-Bombe. «Und ist keine Fiktion», wie Hanspeter Beck vom Laboratorium für Hochenergie Physik an der Uni Bern bestätigt; er arbeitet am Experiment «ATLAS» am CERN mit. In Experimenten mit dem riesigen Teilchenbeschleuniger LHC und Teilchendetektoren entsteht in den Teilchen-Kollisionen neben anderen Kleinstteilchen in der Tat Antimaterie (siehe Kasten).

Bei Teilchen-Kollisionen in den CERN-Experimenten entstehen auch Anti-Teilchen, die aber nicht beständig sind. (Bild: CERN)

Die Antimaterie und das Sandloch

Antimaterie existiert also. «Doch sie ist nicht beständig», fügt Hanspeter Beck sofort an. Die wenigen produzierten Anti-Teilchen in den CERN-Versuchen kollidieren normalerweise sofort mit Materie-Teilchen – und neutralisieren sich innert Sekundenbruchteilen unter Freisetzung von Energie. Im Fachjargon wird dieser Prozess «Annihilation» genannt. Lediglich in einem perfekten Vakuum könnte Antimaterie in der Schwebe gehalten und im Prinzip beliebig lange gespeichert werden.

Hanspeter Beck veranschaulicht die Verbindung von Materie und Antimaterie mit einem Ausflug an den Strand: «Stellen Sie sich vor, Sie buddeln ein Loch in den Sand. Während das Loch immer tiefer wird, entsteht daneben ein Sandberg. Das Loch existiert nicht ohne den Sandberg und auch nicht umgekehrt. Und gegenseitig heben sie sich auf.»

Und wie entstand die Materie?

Genau so verhalten sich Materie und Antimaterie – wie sie einst beim Urknall aus Energie zu gleichen Teilen entstanden sind, sich anschliessend aber wieder aufhoben. Warum schliesslich bei diesem energiereichen Neutralisationsprozessen im All Materie wie Galaxien, Sonnen und Planeten übrig blieben? Das ist die logische, aber noch nicht vollständig geklärte Frage in der Physikerwelt. «Wir führen dies auf ein verschwindend kleines Ungleichgewicht zugunsten der Materie zurück», erklärt der CERN-Physiker. Man geht davon aus, dass auf rund 10 Milliarden Teilchen bei der Annihilation jeweils ein Materieteilchen übrig bleibt. «Dies ist so, als ob Sie den Sandberg zurück in das Sandloch schieben, am Ende das Loch komplett gefüllt ist, aber trotzdem einige Sandkörner übrig bleiben», so Beck. Unser Glück: «Wir würden sonst nicht existieren.»

Er soll kleinste, schnelllebigste Teilchen nachweisen: Der ATLAS-Teilchendetektor am CERN. An diesem Experiment sind auch Berner Physiker beteilgt. (Bild:CERN)

Tom Hanks war tatsächlich am CERN

In Dan Browns Thriller soll die Annihilation je eines viertel Gramms Antimaterie und Materie den Kirchenstaat in die Luft gehen lassen. Die nötige Wucht hätte die Kollision also, und dennoch ist sie laut Wissenschaft unmöglich, wie Hanspeter Beck erklärt. «Erstens lässt sich die im CERN produzierte Antimaterie nicht akkumulieren, und zweitens würde die Produktion eines halben Gramms Antimaterie 10 Millionen Jahre dauern.» In den am CERN vorhandenen Mengen seien die Antiteilchen absolut «unbedenklich». Der Hollywood-Film bewegt sich also zwischen Wirklichkeit und Fiktion. Dass Schauspieler Tom Hanks und Regisseur Ron Howard direkt vor Ort am CERN waren, sei jedoch eine der Wahrheiten, sagt Beck schmunzelnd.

Antimaterie und die Wissenschaft

Die Existenz von Antimaterie wurde 1928 vom Britischen Physiker Paul Adrien Maurice Dirac aus theoretischen Überlegungen vorhergesagt. 1932 wurden zum ersten Mal Anti-Elektronen, so genannte Positronen, in der kosmischen Strahlung experimentell nachgewiesen, wie der Berner Physiker Hanspeter Beck erläutert. Anti-Protonen wurden zum ersten Mal 1955 in Beschleuniger-Experimenten gefunden, sie kommen aber auch natürlich in der kosmischen Strahlung vor, wo man sie in Ballon- und in Satelliten-Experimenten nachweisen konnte. 1995 konnten die Forschenden laut Beck erstmals einige Anti-Wasserstoffatome am CERN erzeugen; dabei wurden Anti-Elektronen mit Anti-Protonen kombiniert.