Welche Farbe hat dein Dienstag?

Zahlen leuchten farbig, Töne haben Geschmack: Bei Synästhetikern verknüpfen sich Sinneseindrücke in sonderbarer Weise. Die Psychologen der Uni Bern sind dem Phänomen auf der Spur – und suchen Testpersonen.

Von Bettina Jakob 25. Juni 2008

Das «O» ist eierschalenweiss, das «N» dunkelblau, leicht wolkig. Und der Montag ist rot, weinrot. Solch ungewöhnliche Aussagen gehören zum Forscher-Alltag von Nicolas Rothen. Der Psychologe an der Abteilung «Allgemeine Psychologie und Neuropsychologie» der Uni Bern befasst sich mit einem Phänomen, welches Sinnenseindrücke auf besondere Art miteinander verbindet: Die so genannte Synästhesie leitet sich aus den griechischen Begriffen syn, zusammen, und aistheisis, Empfindung, ab und ist seit dem 19. Jahrhundert bekannt. Systematisch erforscht wird dieses Phänomen aber erst seit knapp einem Jahrzehnt. Synästhetiker empfinden mehrere Sinneswahrnehmungen gleichzeitig, und während die Fähigkeit früher als eine psychische Störung eingeordnet wurde, ist diese Einschätzung heute längst überholt. Die Sinnesverbindungen der Synästhetikerinnen sind sehr individuell, und so spezifisch, dass die zu einem Buchstaben «mitgelieferte» Farbe in ihrer Tönung und Sättigung gleich bleibt – immer.

Synästhetikerin bei einem Test am Computer
Anhand einer Farbpalette kann die Synästhetikerin genau definieren, welche Farbe für sie der Buchstabe «N» hat. Bild: Pascal Wurtz/Zvg

Beim Baby Sinne noch nicht differenziert

Noch nicht schlüssig erklärt ist jedoch die Ursache der neurologischen Exklusivität. Vermutlich beruht sie auf Relikten aus dem Kindesalter: Eine Hypothese geht davon aus, dass bei Synästhetikern gewisse Verknüpfungen, die im frühkindlichen Gehirn noch vorhanden sind, bestehen bleiben. Bei anderen Menschen werden die neuronalen Netze im Laufe der Entwicklung wieder abgebaut. Rothen erklärt: «Nach der Geburt sind die menschlichen Sinne noch nicht sehr differenziert, ihre Wahrnehmung noch nicht klar auf die betreffenden Hirnareale aufgeteilt.» Die Hirnstrukturen werden in diesem Alter ständig umgebaut.

Auch geschmackliche Koppelungen sind möglich

Bildgebende Verfahren beweisen, dass bei Synästhetikern die Hirnareale, welche die verschiedenen Sinne verarbeiten, gleichzeitig aktiviert sind: Farben, Töne, Geschmacksempfindungen und Gerüche können sich deshalb in beliebiger Weise verbinden. «Am häufigsten sind ‹farbige› Wochentage, aber am besten untersucht ist die so genannte Graphem-Farb-Synästhesie», so Rothen, bei welcher eine Zahl, ein Buchstabe oder ein Wort ein Farberlebnis auslösen. Seltener sind so genannte «Mirror touch»-Synästhesien, bei der beobachtete Berührungen am eigenen Körper gespürt werden. Ebenso rar sind geschmackliche Koppelungen wie im Falle eines Engländers, der gemäss eines BBC Dokumentarfilms zum Beispiel beim Wort «Steve» nasse Windeln schmeckt.

Synästhetikerin bei einem Test am Computer
Die elektrische Leitfähigkeit der Haut misst die Intensität der Aufregung durch Sinnesreize. Bild: Pascal Wurtz/Zvg

Rund fünf Prozent der Bevölkerung hat «ansatzweise» eine Synästhesie, so Nicolas Rothen. Viele kennen «irgendwen», der den Samstag schwarz sieht oder für die das «A» einfach nur grün sein kann. Aufgrund der Schilderungen der Betroffenen scheint das Phänomen nur in eine Richtung zu funktionieren: Ein Buchstabe löst ein Farbempfinden aus, aber umgekehrt löst die Farbe nicht ein Erleben eines Buchstabens aus. Neuere Befunde, auch aus der Uni Bern, stellen diese Annahme aber in Frage.

Nicht einfach eine Assoziation

In ihrer Studie untersuchten die Berner Neuropsychologen sowohl Synästhetiker wie Nicht-Synästhetikerinnen: Den Testpersonen wurden Farben und anschliessend Buchstaben gezeigt. Die elektrische Leitfähigkeit der Haut, gemessen mittels Elektroden an den Händen, gab die Intensität des emotionalen Erlebens während des Betrachtens wieder. Die Synästhetiker reagierten auch auf den Buchstaben, an welchen sie die vorher getestete Farbe koppeln, mit mehr Aufregung, wenn die entsprechende Farbe zuvor mit einer emotionalen Reaktion gepaart wurde. Bei den Nicht-Synästhetikern bliebs ruhig. Diese Resultate zeigen unter anderem auch klar, dass die Synästhesie nicht nur eine Assoziation ist, die sich Synästhetiker im Laufe der Zeit angeignet haben, sondern ein echtes Sinn-Erleben.

Keine Nachteile – keine Vorteile?

Synästhesie ist eine spezielle Funktion des Gehirns, die generell keine Nachteile mit sich bringt. Sie kann vorteilhaft sein, wenn Betroffene ihr Sinn-Erleben als zusätzliche Gedächtnisstütze einsetzen. Berichtet wurde dies aber erst in einzelnen Fällen. Die Berner Forscher sind nun daran zu testen, ob eine Synästhesie zum Beispiel beim Zahlenmerken generell Vorteile bringt oder nicht. Ob sie also den Geburtstag ihrer Freundin weniger vergessen sollten.

Das neue Experiment

bj. PD Dr. Beat Meier und Nicolas Rothen führen in Kooperation mit dem Labor für Perzeption und Okulomotorik des Berner Inselspitals in Kürze ein weiteres Experiment zum Thema Synästhesie durch. Für dieses werden nun noch Testpersonen gesucht. Wer solche Erlebnisse aus eigener Erfahrung kennt und sich angesprochen fühlt, wird gebeten, den Synästhesie-Check auf dem Internet durchzuführen.