Schweiz und EU: Das Ringen um die Chemikalien

In der Europäischen Union (EU) gilt eine neue Chemikalienverordnung. Auch Schweizer Firmen sind davon betroffen: Zukünftig sind nur noch (vor)registrierte chemische Stoffe zulässig. Über die Folgen für die Schweiz referierten zwei Fachleute aus Umwelt und Wirtschaft an der Uni Bern.

Von Nathalie Neuhaus 20. November 2008

Rechtsvorschriften zum Schutz von Mensch und Umwelt – das ist REACH. Das Akronym steht für Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals – also für die Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung von Chemikalien in der Europäischen Union. Die Verordnung hat auch Auswirkungen auf die Schweiz, wie zwei Experten an einer Veranstaltung des Forums für Allgemeine Ökologie betonten: «Eine Anpassung des Schweizer Chemikalienrechts an die europäischen Vorgaben ist notwendig, um Handelshemmnisse zu vermeiden, administrative Verfahren zu vereinfachen und ein gleichwertiges Schutzniveau für Mensch und Umwelt sicherzustellen», erklärte Georg Karlaganis vom Bundesamt für Umwelt (BAFU), Leiter der Abteilung Stoffe, Boden, Biotechnologie.

Ein Mann füllt ein Protokollblatt im Rahmen der neuen Verordnung aus
Registration, Bewertung, Zulassung: Die neue Chemikalien-Verordnung soll Mensch und Umwelt besser schützen. Bild: istock

Auf der anderen Seite betonte Richard Gamma, Vizedirektor SGCI Chemie Pharma Schweiz, dass «das neue EU-Chemikalienrecht sich zwar auf den Chemikalienmarkt und den Produktionsstandort Europa auswirken wird, wie stark lässt sich aber kaum vorhersagen.» Deshalb habe sich seine Arbeitgeberin dafür ausgesprochen, von einer sofortigen Übernahme von REACH ins Schweizer Recht abzusehen. «Vertraglich hat die Schweiz dazu keine Verpflichtung», erklärte Gamma in der Vortragsreihe «Europakompatibler Alleingang? Das Verhältnis Schweiz – EU in der Umweltpolitik».

REACH trifft auch Schweizer Wirtschaft

Wie betrifft das neue Chemikalienrecht die Schweiz? «Die Schweiz ist abhängig von Europa», sagt Gamma. Etwa 60 Prozent der aus der Schweiz exportierten Chemikalien gehen in die Europäische Union und sogar über 80 Prozent aller Stoffe und Zubereitungen stammen von dort. Die chemische Industrie in der Schweiz ist also direkt und indirekt vom neuen EU-Chemikalienrecht betroffen: «Direkt, wenn Schweizer Firmen mit ihren Stoffen und Zubereitungen auf den EU-Markt wollen und indirekt, wenn sie Stoffe aus der EU verwenden, da die neuen Vorschriften zusätzliche Kosten verursachen», erklärt Gamma.

Für Georg Karlaganis vom Bundesamt für Umwelt steht fest, dass die Schweiz sein Chemikalienrecht anpassen muss. «Würde die Schweiz auf eine Angleichung des Rechts an REACH verzichten, würden sich neue Handelshemmnisse ergeben und das Schutzniveau für Gesundheit und Umwelt in der Schweiz würde mittel- bis längerfristig unter dasjenige der EU zurückfallen», betonte Karlaganis.

In Zukunft ein Schweizer-REACH?

Georg Karlaganis und Richard Gamma finden also beide, dass die Schweiz REACH übernehmen sollte. Uneinig sind sie sich über den Zeitpunkt der Übernahme. Da die wirtschaftliche Verflechtung der Schweiz mit der Europäischen Union gross ist, befürwortet Gamma das Prinzip «Let’s reach REACH». Aber zuerst müssten die Vor- und Nachteile abgewägt und die Umsetzung von REACH in der EU genau unter die Lupe genommen werden. «Es ist ein aktives Zuwarten», sagt Gamma, denn es stünden noch zahlreiche Fragen offen und es müsse zuerst aus den Erfahrungen gelernt werden. «Aber in den nächsten 4 bis 5 Jahren gibt es keine Beeinträchtigung des schweizerischen Schutzniveaus», betont Gamma.

Im Gegensatz dazu besteht für Georg Karlaganis vom Bundesamt für Umwelt, bereits jetzt Handlungsbedarf: «Denn ohne REACH bleibt das Schutzniveau in der Schweiz längerfristig hinter demjenigen Europas zurück, und allenfalls wird die Schweiz zum Abfallkübel Europas.» Dann nämlich, wenn die Industrie den REACH-freien Raum Schweiz nutze und alte, unzureichend geprüfte und bedenkliche Stoffe hier verarbeite und in Nicht-EU-Mitgliedstaaten exportiere. «Steht die Schweiz weiterhin im Abseits von REACH, wird sie einen Imageschaden erleiden», sagt Karlaganis.
 

Das ist REACH

nan. Die Chemikalienverordnung der EU ist seit dem 1. Juli 2007 für alle Mitgliedstaaten gültig. Die Unternehmer müssen Daten zu den von ihnen hergestellten Chemikalien einreichen, deren Umfang sich einerseits an der Jahresproduktion und andererseits an der Gefährlichkeit jedes einzelnen Stoffes orientiert; das betrifft insgesamt rund 30'000 Stoffe. Nur nach einer Registrierung dürfen Stoffe als solche, in Zubereitung oder in Erzeugnissen, in der EU hergestellt oder gehandelt werden. Hersteller und Importeure müssen überzeugend darstellen, dass ihre Produkte sicher sind. REACH führt zu einer grösseren Transparenz über die gesamte Lieferkette: Anwender erhalten mehr Informationen über mögliche Gefahren und Risiken beim Umgang mit Stoffen. Besonders gefährliche Substanzen sind zulassungspflichtig und dürfen nur noch verwendet werden, wenn Ersatzstoffe fehlen. Die neu geschaffene EU-Agentur in Helsinki überprüft zusammen mit den nationalen Behörden die Einhaltung der Verordnung.