Die grosse Reise im kleinen Garten
Modelleisenbahnen sind mehr als nur hübsche Miniaturen der schönsten Schweizer Bahnstrecken. Die alten Aussenanlagen verkörpern den Traum des Reisens, wie an der Tagung «Helvetische Merkwürdigkeiten» vom 28./29. November in Bern ausgeführt wird.
Ein bisschen See, ein bisschen Viadukt, ein bisschen Tunnel und Berg. Ohne sie läuft – oder besser fährt – nichts. «Diese Elemente tauchen praktisch in jeder Schweizer Modelleisenbahn-Anlage auf», sagt Kunsthistorikerin Claudia Hermann. Sowohl im Gleis-Wirrwarr der heutigen Miniaturanlagen, die in den Hobbyräumen stehen als auch in den ersten Modell-Anlagen, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts unter freiem Himmel entstanden sind. Doch stehe hinter den beiden Formen von Bahnmodellen ein ganz unterschiedlicher Gedanke, so die Fachfrau, die am Verkehrshaus in Luzern arbeitet: Während heute auf minutiöse Abbildungen der Wirklichkeit und technische Spielereien geachtet würde, verfolgten die ersten Modellbauer allem voran «einen Traum». Den Traum vom Süden, von der Reise durch den Berg an die Wärme. Claudia Hermann schaut an der Tagung «Helvetische Merkwürdigkeiten» des Instituts für Kunstgeschichte der Uni Bern und des Departements Architektur der ETH Zürich hinter die Gleise des Modelleisenbahnbaus.

Das Rattern muss authentisch sein
Die Kleinste ist zwei auf sechs Meter gross, die Grösste hat eine Länge von gut 150 Metern: «Die früheren Freiluft-Modelleisenbahnen trugen ein vielfältiges Erscheinungsbild. Doch eines war allen eigen: Sie sollen die Wirklichkeit vorspielen», so Hermann, und zwar nicht so sehr in ihrer realitätsgetreuen Abbildung einer jeden Kurve und einer jeden Bergspitze. Sondern vielmehr sollte das Modell dieses einmalige Reisegefühl hervorrufen, das die Erbauer aus eigener Erfahrung kannten – oftmals waren es Lokomotivführer oder Monteure. «Für das richtige Erleben musste zum Beispiel die Geräuschekulisse stimmen», so Hermann. Etwa der Rhythmus der Schienenschläge. Das Tempo der Modell-Züge wurde nicht einfach um den Verkleinerungsfaktor des Modells heruntergebrochen, sondern so, dass im Ohr das Rattern in Originalfrequenz erklang und man sich im Viererabteil sitzen wähnte.
Die Traumreis' auf dem Mini-Gleis
«Mit dem Zweiten Weltkrieg wurde die Bahn auch zum Fortbewegungsmittel der normalen Schweizer Bürgerin», erklärt Claudia Hermann. Waren Lok und Wagon vorher vor allem für den praktischen Transport von Personen und Gütern wichtig, entwickelte sich die Bahn nach und nach zum vergnüglichen Fortbewegungsmittel, mit dem man in die Ferien fuhr, so die Kunsthistorikerin. Diese Öffnung erklärt, warum sich bald einige Modelleisenbahnbauer die grosse Reise gar in den eigenen Garten holten: Sie bauten Kehrtunnel ein, um in der Vorstellung durch den Gotthard in den Tessin zu gelangen, oder nach dem Lötschberg die Italianità zu schnuppern. Diese frühen Modelleisenbahnen waren gemäss nicht nur «niedliche Miniatur einer schönen Landschaft». Sondern verklärter Traum des Verreisens.