Arabisches Internet: Macht bloggen frei?
Ein technischer Pionier, ein Menschenrechtsaktivist, eine junge Frau – alle haben etwas gemeinsam: Sie sind Blogger im arabischen Internet. Über den Wandel, der sich gegenwärtig im arabischen Internet vollzieht, referierte ein Experte am Institut für Islamwissenschaften der Uni Bern.
Lange behaupteten Regierung und Statistikbehörden, es gäbe kein arabisches Internet. Doch dies entspricht laut Yves Gonzales-Quijano, Professor für arabische Literatur und politische Soziologie an der Universität Lyon nicht der Realität. «Die arabische Welt hat sich in wenigen Jahrzehnten fast vollständig in die globale Informationsgesellschaft integriert», findet Gonzales-Quijano, der auch Direktor der «Groupe de recherche et d’études sur la Méditerranée et le Moyen Orient» (GREMMO) ist. Welches sind die politischen Folgen dieser «Informations-Revolution»? Während seines Vortrags «L’internet arabe: un mirage politique» betonte Gonzales-Quijano, dass neue Technologien alleine keine grenzenlosen Fähigkeiten besässen. «Das Internet ist vielmehr Leitfaden und Schauplatz einflussreicher soziopolitischer Veränderungen in der arabischen Welt», so der Soziologe. Dennoch habe die Einführung des Internets nicht automatisch zu mehr Freiheit und Demokratie geführt: «Offene Netzwerke und geschlossene Regimes», bringt Gonzales-Quijano die vorherrschenden Repressionen durch Regierungen und Staatsgewalt auf den Punkt.

Das arabische Internet ist schon lange aktiv. In arabischer Schrift wird auch gebloggt. (Bild: istock)
Der Zensur entgehen
«Technische Neuerungen und das politische Leben wurden zunehmend vermischt», sagt Gonzales-Quijano. Bereits 1986 ging das arabische Blog «Mahmood’s Den» (Mahmoods Taverne) online. Zu diesem frühen Zeitpunkt nutzen jedoch nur Technik-Kenner wie Mahmood das Internet. «Mahmood war ein Pionier des Internets und sein Blog von besonderer Bedeutung, denn es entging der Zensur», erklärt Gonzales-Quijano. Mahmood produzierte sein englisch-arabisches Blog auf den Tuvalu-Inseln im Südpazifik – ein cleverer Schachzug, denn Zensurbehörden, die nach arabischen Internetseiten suchten, konnten dieses Blog deshalb nicht als solches entlarven. «Noch heute weichen aus diesen Gründen viele arabische Internetseiten-Betreiber nach Amerika aus, um von dort aus ihre Seiten zu kreieren und zu bedienen», sagt Gonzales-Quijano.
Weibliche Blogosphäre
Gegenwärtig erheben sich im arabischen Internet neue politische Stimmen: «In Saudi-Arabien bilden junge Frauen eine neue Generation von Bloggerinnen», erläutert der Soziologe. Die 25-jährige Sarah Mattar aus Riad (Saudi-Arabien) ist ein Beispiel für diesen Wandel. Das Porträt-Foto auf Sarahs Blog ist laut Gonzales-Quijano sehr wichtig: Die junge Frau trägt eine grosse dunkle Sonnenbrille, die ihre Augen verdeckt. «Das ist grundlegend, denn laut der saudi-arabischen Tradition müssen die Augen und der Blick verborgen bleiben», erklärt Gonzales-Quijano. Eine wirksame Strategie, um der Zensur zu entgehen. Ebenso interessant sei das Tuch, welches sie auf ihrem Kopf trägt: Ein rotes «Palästinenser-Tuch», welches für den Irak oder die Golf-Region, also für Sarahs regionale Zugehörigkeit, stehe. Das grüne Oberteil symbolisiere die saudische Landesflagge. Eigentlich ein Männer-Gewand, welches sowohl als identitäre als auch als politische Zustimmung verstanden werden könne: «Ich bin eine saudische Frau und ich drücke mich aus», schreibt Sarah auf ihrem Blog. «Diese jungen Bloggerinnen stellen ein postmodernes Phänomen dar und sind eine erstmalige Erscheinung im arabischen Raum. Sie bilden eine wichtige Stimme des öffentlichen Raumes und haben symbolischen Charakter», betont Gonzales-Quijano.

Sarah Mattars Blog: Eine neue Generation von Bloggerinnen, die sich online zu Themen äussern. (Bild: AK)
Arabische Blogger bringen Wandel
«Die Macht der arabischen Blogger besteht darin, sich über das Internet auszudrücken und so die Massen zu mobilisieren», erklärt der Professor für arabische Literatur. Beispielsweise Wael Abbas ist ein weltweit bekannter ägyptischer Menschenrechtsaktivist und Blogger. «Sein politisches Blog bewegt sich zwischen Journalismus und Aktivismus», erklärt Gonzales-Quijano. Abbas’ Blog beinhaltet traditionelle Symbole, verbindet aber auch verschiedene technische Mittel miteinander. So zeigte Abbas auf seinem Blog Aufnahmen von Folter und Polizeigewalt in seinem Land. Daraufhin wurden mehrere Polizisten verhaftet – ebenso eine neue Entwicklung. In Ägypten machten auch andere Blogger Schlagzeilen, als sie beispielsweise sexuelle Belästigungen, die sich in den Strassen Kairos ereignet hatten, online aufdeckten. Die traditionelle Presse wollte dieses Tabu-Thema verschweigen. «Für viele Nutzer stellt das Internet eine Bühne, einen Ort der politischen Debatte dar. Das Blog wird zum öffentlichen Raum – eine Technik zur politischen Mobilisation», erklärt Gonzales-Quijano.
Im Internet besteht verbreitet die Möglichkeit, sich aktiv mit Politik oder anderen Themen auseinanderzusetzen. «Die politischen Akteure in der arabischen Welt haben sich im Laufe der Zeit sehr verändert», betont Gonzales-Quijano. Dennoch sei die politische Repression und Herrschaft der Regimes immer noch gegenwärtig und die Blogger müssten auf der Hut sein. Yves Gonzales-Quijano findet abschliessend: «Das Internet hält der arabischen Gesellschaft einen Spiegel vor.»
Arabisches Internet in Daten
1989 ist das weltweite Geburtsjahr des Internets. Zehn Jahre später ist Saudi-Arabien, ein restriktives Land, im Web. Zu diesem Zeitpunkt gibt es eine Million arabische Internet-Nutzer und 2007 sind es bereits 30 Millionen. 2005 existieren rund 30 Millionen arabische Blogs, welche in der gesamten arabischen Welt kreiert wurden. 2008 wurde eine arabische Version von «Blogger.com» eingeführt.