Roger de Weck und der Weg nach Europa
Er war Chefredaktor des «Tagesanzeigers» und der «Zeit», schreibt für die «SonntagsZeitung», moderiert die «Sternstunden» auf SF1. Am Freitag, 30. März, sprach er an der Uni Bern über «Europäische Integration – Erfahrungen und Perspektiven der Schweiz»: Roger de Weck.
Ist die EU eine «intellektuelle Fehlkonstruktion», wie sie hierzulande von den Gegnern geschimpft wird? Nein, sagt Roger de Weck, im Gegenteil: «Die Schweiz hat noch nie einen so guten Nachbarn gehabt.» Man erinnere sich nur, dass im Norden die Nazis sassen und im Süden die Faschisten. Der bekannte Publizist und ehemalige Chefredaktor des «Tagesanzeigers» und der «Zeit» referierte am Freitag auf Einladung des Forums für Universität und Gesellschaft sowie des Instituts für Europa- und Wirtschaftsvölkerrecht an der Uni Bern. Und de Weck stellt seine Meinung zur Europafrage klar und dezidiert dar: Die Stabilität und Ordnung auf dem europäischen Kontinent sei der Europäischen Union zu verdanken. Man denke zum Beispiel an Osteueropa nach dem Zusammenbruch des Kommunismus: «Ohne EU hätte es statt Perspektive nur Kriege und Wirren gegeben.»

Aller Anfang ist schwer
Roger de Weck versuchte der Schweiz Europa näher zu bringen: «Die EU arbeitet wie unsere Eidgenossenschaft: Sie sucht mühselig nach dem Kompromiss, nach dem Ausgleich.» Aber ausgerechnet die Schweiz werfe der EU vor, als Staatenbund nicht demokratisch zu sein. Würde sie aber zum europäischen Bundestaat, würde dieser «Superstaat» von den Gegnern als «Horror» abgekanzelt, so de Weck.
Klar, einige Schwierigkeiten müssten bei einem Beitritt überwunden werden: Das helvetische Regierungssystem bedürfte einer «kräftigen Erneuerung», sagte Roger de Weck, und erachtet dies als «gar nicht schlecht». Auch Teile der direkten Demokratie würden verschwinden, das Volk könnte nicht mehr über alles abstimmen – was aber nicht unbedingt ein Souveränitätsverlust bedeutete, da neue Instrumente wie zum Beispiel ein Finanzreferendum eingeführt werden könnten. Im Weiteren müsste die Mehrwertsteuer verdoppelt werden, damit der gemeinsame Markt mit der EU funktionstüchtig sei. Der Publizist und Europa-Experte sieht darin aber «mehr Chance als Gefahr»: Die Schweiz hätte die Möglichkeit, sich zu erneuern. Es sei halt so: «Jede Reform stellt eine Hürde dar.»
Die patriotische Pflicht
Von einer freiwilligen Veränderung wechselte Roger de Weck zur möglichen Zwangssituation, dem «Worst-Case-Szenario»: Die Schweiz könnte eines Tages in die Lage kommen, aus einer schwachen Position heraus über einen EU-Beitritt verhandeln zu müssen; dann beruhten die Verträge vielleicht nicht mehr auf dem freien Willen, der dem Schweizer und der Schweizerin so wichtig sei. «Die Schweiz muss in die Europa-Diskussion einsteigen», fordert de Weck indes, «es ist sogar patriotische Pflicht, konkret darüber nachzudenken, welchen Platz das Land in Europa einnehmen will.»
Über den «Bilateralen einzudösen» bringe niemanden weiter, da dies Schönwetter-Verträge seien: «Wie gut sind wohl unsere Karten als privilegierter Nicht-Mitgliedstaat noch, wenn plötzlich eine akute Erdölversorgungskrise droht?» fragte de Weck lakonisch. Probleme sieht er aber schon im Kleinen auf uns zu kommen: «Die grossen Mitgliedstaaten mögen mit unseren Spezialbedingnungen klar kommen, aber die Kleinen werden diesen Sonderstatus nicht immer dulden», so der Publizist.
Eine historische Perspektive
Aus der «Milchbüchlein-Rechnung» auszusteigen, empfahl Roger de Weck zum Schluss. «Kurzfristige Nachteile zugunsten von mittleren- und langfristigen Vorteilen in Kauf nehmen» – das ist seine Devise für den Weg nach Europa. Er erinnerte die Zuhörenden an die starke Vergangenheit der Schweiz: Sie habe Flüchtlinge aufgenommen, das Rote Kreuz gegründet, gewichtige Grosskonzerne hervorgebracht. Ein Land mit einer solchen historischen Perspektive könne nicht auf dem Alleingang beharren.
Weiterführende Links
Roger de Weck (53) ist Publizist in Zürich und Berlin. Er schreibt für deutsche, französische und Schweizer Blätter, hierzulande für die «SonntagsZeitung» und «persönlich». Auch ist er Moderator der Fernsehsendung persönlich". Auch ist er Moderator der Fernsehsendung «Sternstunden» (SF1). Der zweisprachige Freiburger ist Präsident des Stiftungsrats des Genfer Hochschulinstituts für internationale Studien HEI und Gastprofessor am Europa-Kolleg in Brügge und Warschau. Zuvor war er Chefredaktor des «Tages-Anzeigers» und der Hamburger Wochenzeitung «Die Zeit». De Weck ist namentlich Mitglied des Pen Clubs, Stiftungsrat des Karlspreises in Aachen, Ehrendoktor der Universität Luzern und Träger des Medienpreises Davos. Er hat in St. Gallen Volkswirtschaft studiert.