Die Käserstochter, die für eine bessere Welt kämpfte

Ob in Palästina, Budapest, Finnland oder Brasilien: Die Konsulsgattin Gertrud Lutz setzte sich unermüdlich für die Benachteiligten ein. Eine Ausstellung am Historischen Institut der Uni Bern dokumentiert das Leben der Emmentalerin.

Von Bettina Jakob 07. November 2006

Sie gönnte sich nie Ruhe. Vom Moment an, als die junge Emmentalerin 1930 im Alter von 18 Jahren in die USA auswanderte, bis hin zu ihrem letzten Atemzug, den sie 84-jährig auf dem Weg zu einem Fernsehinterview machte: Gertrud Lutz Fankhauser, die Gattin von Carl Lutz, dem bekannten Schweizer Diplomaten, der während des Zweiten Weltkriegs 62’000 ungarischen Juden das Leben rettete. «Ohne Gertrud Lutz hätte er das nie geschafft», sagt Helena Kanyar, Historikerin an der Uni Basel. Sie hat die Biografie der Käserstochter aufgearbeitet: «Sie war eine erstaunliche Frau, so charismatisch, dass ihr alle zu Füssen lagen.» Am Historischen Institut der Uni Bern hat Kanyar eine Ausstellung realisiert. Die Bilder auf den Stellwänden in der Unitobler bezeugen: Gertrud Lutz packte an, wo andere lieber wegschauten. 

Gertrud Lutz auf der Titelseite einer Ausgabe der Schweizer Illustrierten
Die «Schweizer Illustrierte» porträtierte Gertrud Lutz, als sie für die Schweizer Spende in Finnland war. Bilder: Zvg

Das Elend in Palästina

Gertrud Lutz war schon immer sehr entschlossen: Das Emmental war ihr zu eng, also wanderte sie nach der Handelsschule in den Mittleren Westen der USA aus, wo sie im Schweizerischen Konsulat in Louisiana arbeitete. Dort lernte sie den Schweizer Kanzleisekretär Carl Lutz kennen. Statt in die Flitterwochen reiste das Ehepaar aber bald nach Palästina, weil Carl Lutz nach Jaffa versetzt wurde. Dort erlebten sie 1939 die dramatischen Auseinandersetzungen zwischen Palästinensern und jüdischen Einwanderern, die vor den Nazis geflüchtet waren. Kurz darauf brach der Zweite Weltkrieg aus. Gertrud Lutz kümmerte sich um die deutschsprachige Bevölkerung, die als feindliche Ausländer in britische Internierungslager gesteckt worden waren; sie machte Gefangenenbesuche, brachte kranke Frauen und Kinder ins Spital. «Für Gertrud Lutz gab es keine Rassenunterschiede, für sie waren alle Menschen», führt Historikerin Kanyar aus.

Schweizer Schoggi als Bestechung

Ein Abstecher in die bernische Heimat liess Gertrud Lutz 1941 nur kurz durchatmen. Schon im nächsten Januar reiste das Ehepaar im wieder ab – nach Budapest. Dort spitzte sich die Situation zu: In den ersten Monaten des Jahres 1944 wurden über 400’000 ungarische Juden in die deutschen Konzentrationslager deportiert und umgebracht. Nur mit Tricks konnten Konsul Lutz und seine Mitarbeiter Schutzbriefe für tausende Juden ausstellen und diese damit vor dem sicheren Tod bewahren. Fotoaufnahmen in der Unitobler zeigen, dass die Vertrauten des Ehepaars Lutz Tag und Nacht in die Tasten hauten und Formulare ausfüllten. Rund 50 Personen versteckte Gertrud Lutz im Keller der Schweizerischen Gesandtschaft. Sie schleppte Nahrungsmittel an, kochte, pflegte Kranke im dunklen Keller, der nur mit Lampen beleuchtet wurde, in welchen Schweineschmalz als Wachs diente; Kerzen gab es längst nicht mehr. Und Historikerin Kanyar erzählt: Einen ungarischen Faschisten bestach sie sogar mit Schweizer Schokolade – damit er aufhöre, einen Juden zu schlagen.

Die Kettenraucherin unter Männern

Gertrud Lutz rauchte eine Zigarette um die andere und liess nicht locker. Auch nicht als die Ehe mit Carl Lutz am Ende des Kriegs geschieden wurde; der Mann hatte sich in eine Ungarin verliebt. Gertrud Lutz setzte sich für die Hilfsorganisation Schweizer Spende ein, weibelte und trommelte Geld zusammen. Es kümmerte sie nicht, dass sie oft als einzige Frau in Männergremien sass und dass ihre Kontaktpersonen adlig und reich waren. Selber hielt sie nie etwas von der Klassen-Gesellschaft. «Es ist nur der Charakter, der zählt», schrieb sie. So wurde in ihren Berichten auch schon mal ein Adliger zum «Baron von Irgendetwas». 

Foto von Gertrud Lutz in einer Gruppe von afrikanischen Frauen
Nicht nur in Europa und Südamerika arbeitete Gertrud Lutz – auch Afrika lag ihr am Herzen.

Der Engel von Brasilien

Die «Schweizer Illustrierte» feierte Gertrud Lutz auf der Titelseite als Heldin. Und für unzählige Kinder im dürren Nordosten Brasiliens wurde sie zur Retterin. Ab 1951 betreute Lutz dort für das UNICEF Speisungsprogramme, baute Mütterheime auf, gründete Fachschulen für Kinderpflegerinnen. Als Gertrud Lutz 13 Jahre später in die Türkei zur nächsten Mission abreiste, schrieb der «Brazil Herald»: «Der Engel fliegt in die Türkei». Vor der Pensionierung amtete Gertrud Lutz schliesslich als Vizepräsidentin des UNICEF in Paris. Aber dann zog sie ins Elternhaus im bernischen Zollikofen – und wurde Gemeinderätin. Doch nur zu Hause hielt sie es nicht aus: Gertrud Lutz reiste um den Globus, um Vorträge zu halten – so auch am 29. Juni 1995, als sie im Zug nach Zürich an Herzversagen starb. 

Weiterführende Informationen

Ausstellung

Die Ausstellung über Gertrud Lutz Fankhauser an der Unitobler, Lerchenweg 36 im Untergeschoss, dauert bis am 4. Dezember.

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