Hilfestellung in der Islam-Debatte

Anfang Jahr wurde an der Universität Bern das Forum Islam und Naher Osten (FINO) eingerichtet. Für «uniaktuell» berichtet der Gründer Reinhard Schulze, wie er mit dem neuen Forum einen Beitrag dazu leisten möchte, die öffentliche Debatte zu einem viel diskutierten Thema mit aktuellen Informationen auszustatten und die involvierten Parteien miteinander ins Gespräch zu bringen.

Von Reinhard Schulze 09. März 2018

Seit dem Beginn der 1990er Jahre sind Islam und Naher Osten in der öffentlichen Wahrnehmung zu einem Problem für die Gesellschaft geworden. Massgeblich dazu beigetragen haben sowohl die Terroranschläge, die von den Akteurinnen und Akteuren als islamische, religiöse Tat propagiert wurden, als auch die Kriege und Konflikte im Nahen Osten und in Nordafrika. Mit der folgenden Massenflucht nach Europa nahm der Anteil der Menschen, die sich als Muslime verstehen, in Europa zu. Darauf wurde in verschiedenen Szenarien die Befürchtung ausgedrückt, die muslimische Minderheit könnte in Europa, und auch in der Schweiz, massgeblich an Bedeutung und Einfluss gewinnen.

Prof. Reinhard Schulze ist Direktor des neugegründeten Forum Islam und Naher Osten (FINO). Bild: zvg
Prof. Reinhard Schulze ist Direktor des neugegründeten Forum Islam und Naher Osten (FINO). Bild: zvg

Gesicherte Informationen

Diese Umstände haben politische Debatten ausgelöst: Einerseits zum Umgang mit muslimischen Minderheiten in Europa und andererseits zur Politik gegenüber den Umbrüchen und Transformationen in der islamischen Welt, speziell im Nahen Osten. Allerdings stehen den Medien, politischen Behörden und zivilgesellschaftlichen Einrichtungen oftmals nicht hinreichend jene Informationen über den Islam und den Nahen Osten zur Verfügung, die für eine gesicherte und gerechtfertigte Urteilsbildung notwendig wären. Dabei haben die auf den Islam und den Nahen Osten bezogenen Wissenschaften gerade in den letzten 30 Jahren enorme Fortschritte gemacht und Erkenntnisse erarbeitet, die für die Urteilsbildung in der Öffentlichkeit wie für die entsprechenden Handlungsfelder höchst bedeutsam sind.

Das neue Forum Islam und Naher Osten, das im Februar 2018 an der Universität Bern gegründet wurde, will diesen Umständen Rechnung tragen. Es soll dabei helfen, den Dialog zwischen Wissenschaft und Akteuren der Zivilgesellschaft, der Medien und der Politik zu fördern und wissenschaftliche Erkenntnisse direkt den Interessengruppen zur Verfügung zu stellen.

Transdisziplinarität und Wissenstransfer

Für eine erfolgreiche öffentliche Diskussion über den Islam und den Nahen Osten ist die Qualität der zugrundeliegenden Informationen entscheidend. Deshalb soll das Forum soziale, kulturelle und politische Prozesse im Kontext des Islam beziehungsweise des Nahen Ostens beobachten, dokumentieren und entsprechende Informationen veröffentlichen.

Ein weiteres Ziel des Forums ist es, den jeweils neusten Forschungsstand zu einem bestimmten Problem oder Sachverhalt aufzubereiten. Dies können zum Beispiel Fragen wie jüngst zur Verschleierung oder der Genitalverstümmelung, zum kulturellen Umbruch in Saudi-Arabien, zur Beziehung von Religion und Gewalt oder zur islamischen Rechtfertigung demokratischer Ordnungen sein. So wird ein Beitrag dazu geleistet, dass die öffentliche Auseinandersetzung nicht auf zum Teil völlig veralteten Informationen und Vorstellungen geführt wird, sondern aktuelle Forschungsergebnisse zur Verfügung hat.

Eine besondere Aufgabe des Forums wird es sein, Absolventinnen und Absolventen der Islam- und Nahost-Studiengänge dabei zu helfen, ihr akademisches Knowhow erfolgreich in berufliche Arbeitsfelder einzubetten. Dazu gehört auch, sie bei der Gründung von Startups oder Spin-Offs  zu unterstützen.

Beratung

Nicht zuletzt evaluiert das Forum die auf den Islam und den Nahen Osten bezogenen Forschungslandschaften in der Schweiz wie im benachbarten europäischen Ausland. Seit knapp zehn Jahren wurden vornehmlich im deutschsprachigen Raum, aber auch zunehmend in Grossbritannien und in den skandinavischen Ländern akademische Einrichtungen gegründet, die sich als Einrichtungen einer islamischen Theologie verstehen. Erstmals verfügen so auch muslimische Minderheiten über universitären Einrichtungen, die sich zu einer akademischen Bildung und Ausbildung in islamisch-theologischer Absicht bekennen. Die Ausgestaltung der islamischen Theologie als Bündel akademischer Disziplinen steckt aber noch in den Anfängen. Sie bedarf einer engen Koordination mit den bestehenden Einrichtungen, die nicht konfessionell ausgerichtet sind. Angesichts dieser Herausforderung will das Forum bei der Weiterentwicklung der auf den Islam und den Nahen Osten bezogenen Forschungslandschaft unterstützend wirken.

FORUM ISLAM UND NAHER OSTEN (FINO)

Das Forum Islam und Naher Osten (FINO) wurde 2018 an der Universität Bern eingerichtet. Es zielt auf die Vermittlung akademischen Wissens und akademischer Erkenntnisse, die auf einer thematisch fokussierten und qualitativ hochstehenden Grundlagenforschung zum Islam und Nahen und Mittleren Osten beruhen. Die Vermittlung richtet sich insbesondere an öffentliche Institutionen, Behörden sowie an schweizerische Medien und andere relevante öffentliche und zivilgesellschaftliche Einrichtungen.

Zum Autor

Reinhard Schulze (geb. 1953) ist seit 2018 Direktor des neugegründeten Forum Islam und Naher Osten (FINO). Er war von 1995 bis 2018 Professor für Islamwissenschaft und Neure Orientalische Philologie an der Universität Bern sowie Direktor des Instituts. Er habilitierte 1987 in Bonn und forscht u.a. im Bereich islamische Kultur- und Religionsgeschichte. Schwerpunkt seiner aktuelleren Forschung sind die zeitgenössischen islamisch-politischen Kulturen.

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