Der «Leuthard-Effekt» wirkte an der Universität

Bundesrätin Doris Leuthard besuchte im Rahmen zweier politikwissenschaftlichen Vorlesungen die Universität Bern. In ihrer Rede sprach sie über das politische System der Schweiz und beantwortete anschliessend studentische Fragen zu ihrem Alltag in der Bundespolitik. Zwei Studentinnen berichten für «uniaktuell».

Mit ihrem Besuch am 18. Oktober 2018 brachte Doris Leuthard Farbe in die Themen der Vorlesungen «Politisches System der Schweiz I» von Prof. Adrian Vatter und «Politische Psychologie: Persönlichkeit und Politik» von Prof. Markus Freitag die Universität Bern. Die Bundesrätin und Vorsteherin des Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) zeigte anhand der Selbstbestimmungsinitiative die Mechaniken des politischen Systems der Schweiz auf, sprach sich gegen die Selbstbestimmungsinitiative aus, beschrieb den Bundesrat als Haifischbecken und erzählte von ihren politischen Erfahrungen als Frau. Die Noch-Bundesrätin vermochte an diesem sonnigen Herbstmorgen die 250 anwesenden Studentinnen und Studenten zu begeistern – einmal mehr wirkte der «Leuthard-Effekt».

Bundesrätin Doris Leuthard gab bei ihrem Besuch an der Universität Bern Auskunft über Ihren Alltag als Bundesrätin. Alle Bilder: © Universität Bern, Fotos: Lea Muntwyler
Bundesrätin Doris Leuthard gab bei ihrem Besuch an der Universität Bern Auskunft über Ihren Alltag als Bundesrätin. Alle Bilder: © Universität Bern, Fotos: Lea Muntwyler

Alina Zumbrunn: «Der Bundesrat ist ein Haifischbecken»

Doris Leuthard erinnerte sich, wie ihr jemand kurz vor Amtsantritt als dritte Bundesrätin der Schweiz einen wertvollen Tipp mit auf den Weg gab: «Der Bundesrat ist ein Haifischbecken. Und es gibt drei Taktiken, die man dort anwenden kann: Man kann schneller schwimmen als die anderen, man kann ab und an zubeissen oder man kann sich mit den anderen Haien arrangieren. Und je nach Situation wendet man eine dieser drei Taktiken an.» Und diesen Hinweis hat die Bundesrätin verinnerlicht.

Dass Frau Leuthard gerne schnell schwimmt, hat sie schon in der vierten Klasse bewiesen, denn ihr Berufswunsch lautete schon damals Nationalrätin. Auch das Meer an Fragen der Professoren und Studierenden durchschwamm sie mit Leichtigkeit. Beeindruckend schlagfertig und mit sympathischem Humor erzählte sie aus ihrem Alltag in der Bundespolitik und liess auch immer wieder ihre eigene Meinung durchschimmern. Ein Zeugnis ihres offenen Charakters.

Auch zubeissen kann Frau Leuthard, wie sie während der knapp zwei Stunden unter Beweis stellte. Zur Selbstbestimmungsinitiative fand sie klare, kritische Worte und stellte gar Adrian Vatters wissenschaftliche Befunde zum Verhältnis zwischen Parlament und Bundesrat infrage. Mit einer feurigen Rede forderte sie schliesslich die Studentinnen auf, sich als Frauen ihren Platz in der Welt zu erkämpfen. Die in der Politik benötigte Extraversion besitzt die Bundesrätin zweifellos.

Doch auch die letzte Haifischstrategie, das Arrangieren, beherrscht Frau Leuthard durchaus. Eindringlich beschrieb sie die Rolle der Schweiz im internationalen Kontext und sprach über Globalisierung und Internationalisierung. Beinahe weise wirkten ihre Worte, als sie die wichtige Rolle von supranationalen Rechtsinstanzen thematisierte. Auch die Verträglichkeit ist also in Charakterzug der abtretenden Bundesrätin, der ihr gerade bei internationalen Verhandlungen weiterhilft.

Und was bleibt nach zwölf Jahren in diesem Haifischbecken? Die Frage, ob sich ihre Werte während der Zeit als Bundesrätin verändert haben, verneinte sie. Etwas so Grundlegendes wie ihre Werte liesse sich nicht so leicht beeinflussen. Auch nicht durch ein Amt als Bundesrätin.

Bundesrätin Doris Leuthard in der Diskussion mit den Professoren Markus Freitag (links) und Adrian Vatter.
Bundesrätin Doris Leuthard in der Diskussion mit den Professoren Markus Freitag (links) und Adrian Vatter.

Madleina Ganzeboom: «Jawohl, ich kann das!»

Die Studierenden der beiden Vorlesungen und die anwesenden Gäste konnten an diesem Morgen im Hörsaal verschiedene Seiten von Doris Leuthard erleben: In ihrem Referat argumentierte sie stellvertretend für den Gesamtbundesrat für ein Nein zur Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter» (kurz Selbstbestimmungsinitiative). Persönlicher wurde es, als sie von ihren Motiven, in die Politik zu gehen, erzählte. Wohl in der 4. Primarklasse habe sie einen Essay darüber geschrieben, dass sie später Nationalrätin werden möchte. Die Auseinandersetzungen mit ihrem Vater hätten dazu geführt, dass sie selber entscheiden und etwas verändern wollte. Auch die EWR-Abstimmung vom Dezember 1992 sei für sie rückblickend ein politisierendes Schlüsselerlebnis gewesen. Bei einer Anekdote aus dem Bundesratsleben trat dann ihre humoristische Seite hervor: Sie erzählte, wie sie Alt-Bundesrat Pascal Couchepin auf seine in ihren Augen unschönen Krawatten ansprach, und wie sich Couchepin danach jeweils ihre Meinung einholte, wenn es darum ging, die richtige Krawatte für öffentliche Auftritte auszusuchen.

Das Volk im Bundesratszimmer

Besonders interessant war Doris Leuthards Darstellung zur Rolle des Volkes: Die Stimmberechtigten, so Leuthard, seien «im Bundesratzimmer immer dabei». Es werde diskutiert, was im Interesse des Landes und der Bevölkerung sei, damit Entscheide mehrheits- und referendumsfähig sind. Eine Aufgabe der Regierung sei es weiter, die «Mücken von den Elefanten» zu trennen, also zu bestimmen, ob es sich um ein grosses oder ein kleines Problem handle. Das Ziel sei das Identifizieren und Enttarnen von «Veloständerproblemen» – Probleme, die eigentlich gar keine seien.

«Die Schüchternheit ablegen»

Aus welchem Kanton ihre Nachfolgerin oder ihr Nachfolger im Bundesrat komme, sei für sie nicht so relevant, meinte Frau Bundesrätin. Als Mitglied des Bundesrates vertrete man schliesslich die ganze Schweiz und keine «Aargauer» oder «Zürcher Politik». Frauen dagegen seien in der Politik immer noch unterrepräsentiert; sie müssten immer noch mehr und härter arbeiten als Männer und sich den Respekt härter erarbeiten. Eindringlich Leuthards Appell: «Die Frauen in der Schweiz müssen ihre Schüchternheit ablegen» und «sich hinstellen und sagen: Jawohl, ich kann das!»
Selbstverständlich liege es nicht allein an den Frauen. So könnten etwa die Journalisten durch fairere Berichterstattung ihren Beitrag leisten. Ist es etwa nötig, einen Artikel über ihre grauen Haare zu schreiben, wenn ihr mal die Zeit für den Coiffeur fehlt? Zu hoffen bleibt, dass sich der Berufswunsch der einen oder anderen Frau im Saal an diesem Tag bestärkt hat.

V.l.n.r.: Silvia Schroer, Vizerektorin Qualität der Universität Bern, Adrian Vatter, Doris Leuthard und Markus Freitag.
V.l.n.r.: Silvia Schroer, Vizerektorin Qualität der Universität Bern, Adrian Vatter, Doris Leuthard und Markus Freitag.

Zu den Vorlesungen

Zum ersten Mal in Kooperation luden dieses Jahr Prof. Dr. Adrian Vatter und Prof. Dr. Markus Freitag im Rahmen ihrer Vorlesungen eine Vertreterin des politischen Systems für ein Referat mit Diskussion ein.
Die noch junge Vorlesung «Politische Psychologie: Persönlichkeit und Politik» (Markus Freitag) geht der Frage nach, wie unser Charakter unsere politischen Einstellungen, Parteipräferenzen, politische Beteiligung und unseren Medienkonsum – kurz das gesamte politische Denken und Handeln einer Person beeinflusst.
Im Mittelpunkt der jeweils im Herbstsemester stattfindenden Vorlesung «politisches System der Schweiz I» (Adrian Vatter) stehen die politischen Akteure und Institutionen auf Bundes- und Kantonsebene, die politischen Entscheidungsprozesse auf den verschiedenen Staatsebenen sowie die vertiefte Betrachtung ausgewählter Politikfelder.

ZUR DEN AUTORINNEN

Alina Zumbrunn ist Masterstudentin der Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre an der Universität Bern und arbeitet als Hilfsassistentin von Prof. Dr. Markus Freitag am Lehrstuhl für Politische Soziologie.
Madleina Ganzeboom studiert Psychologie im Hauptfach sowie Sozialwissenschaften im Nebenfach und arbeitet als Hilfsassistentin von Prof. Dr. Adrian Vatter am Lehrstuhl für Schweizer Politik an der Universität Bern.

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