«Die Geldpolitik muss sich jetzt normalisieren»

2018 war das Jahr des starken Wirtschaftswachstums und der tiefen Börsenkurse. Wie geht es weiter? Im Interview bewertet Volkswirtschaftsprofessor Aymo Brunetti das vergangene Wirtschaftsjahr und wagt einen Ausblick.

Interview: Lisa Fankhauser 14. Januar 2019

Herr Brunetti, sind Sie zufrieden mit dem Wirtschaftsjahr 2018?
Aymo Brunetti: Obschon wir noch keine vollständigen Daten haben – die Zahlen des 4. Quartals sind noch ausstehend –, kann man von einem relativ starken Wachstum der Schweizer Wirtschaft im letzten Jahr sprechen. Das erste und zweite Quartal zeichneten sich durch beinahe boomartiges Wachstum aus. Im dritten Quartal kam es dann zu einer Korrektur. Insgesamt erfolgte im zweiten Halbjahr eine Normalisierung. Mit einem geschätzten Plus von mehr als 2% war das Wachstum für Schweizer Verhältnisse aber sehr hoch. 

Aymo Brunetti ist ordentlicher Professor für Wirtschaftspolitik und Regionalökonomie am Departement Volkswirtschaftslehre der Universität Bern. © Adrian Moser
Aymo Brunetti ist ordentlicher Professor für Wirtschaftspolitik und Regionalökonomie am Departement Volkswirtschaftslehre der Universität Bern. © Adrian Moser

Welches sind die Gründe für dieses Wachstum?
Die Weltwirtschaft ist gut gelaufen. Dies ist für die Schweiz insofern wichtig, als wir sehr abhängig vom Aussenhandel sind. Die Exporte sind denn letztes Jahr auch stark angestiegen. Ein weiterer Grund ist, dass der Schweizer Franken sich nicht aufwertete.

2018 war das schlechteste Jahr an der Schweizer Börse seit 2008. Hat Sie dies erstaunt? Und wie geht es an der Börse weiter?
Die Korrektur hat mich insofern nicht erstaunt, als sich die Situation an den Börsen in den vorigen Jahren sehr gut entwickelte und wir auf einem beinahe stratosphärischen Niveau waren. Das hat viel mit der sehr expansiven Geldpolitik zu tun, die eine starke Nachfrage nach Vermögenswerten wie Aktien oder Immobilien schuf. Eine Korrektur war zu erwarten. Die Geldpolitik muss sich jetzt normalisieren: Dies wird mit Turbulenzen einhergehen, was auch Schwankungen an den Finanzmärkten bedeuten kann.

Wird die Schweizerische Nationalbank also ihre Strategie ändern?
Die Geldpolitik der Schweizerische Nationalbank ist stark davon bestimmt, eine übermässige Aufwertung des Frankens gegenüber dem Euro zu vermeiden. Insofern spielt die Europäische Zentralbank für die hiesige Geldpolitik eine wichtige Rolle. Wenn sich die Europäische Zentralbank nicht bewegt, dürfte sich an der expansiven Schweizer Geldpolitik wenig ändern.

Aymo Brunetti: «Wenn sich die Europäische Zentralbank nicht bewegt, dürfte sich an der expansiven Schweizer Geldpolitik wenig ändern.»
Aymo Brunetti: «Wenn sich die Europäische Zentralbank nicht bewegt, dürfte sich an der expansiven Schweizer Geldpolitik wenig ändern.»

Wo sehen Sie die grössten Risiken für die Schweizer Wirtschaft 2019?
Das grösste Risiko stellen Turbulenzen bei der bevorstehenden Normalisierung der weltweiten Geldpolitiken dar. Ein weiterer kritischer Faktor wäre ein Handelskrieg. Davon wären aber eher langfristige Entwicklungen betroffen. Ein Handelskrieg würde sich längerfristig sehr negativ auf die Schweizer Wirtschaft auswirken, da wir stark von einer funktionierenden multinationalen Wirtschaftsordnung abhängig sind. Ein Rückgang des Aussenhandels würde uns deshalb stark treffen. Weiter stellt der Brexit eine gewisse Unsicherheit dar. Jedoch müsste dieser sehr chaotisch ausfallen, damit er einen stark negativen Effekt auf die Schweizer Wirtschaft hätte. Und schliesslich bergen auch mögliche Turbulenzen in der Eurozone Risiken. In den letzten Wochen hat sich aber beispielsweise die Situation in Italien eher beruhigt.

Gibt es auch Faktoren, die zu einem höheren Wachstum führen könnten?
Zurzeit dominieren eindeutig die genannten negativen Risiken.

Letztes Jahr haben Sie ein Buch zu den Nachwirkungen der Finanzkrise publiziert. Wie sieht die wirtschaftliche Situation in der Schweiz zehn Jahre nach dem Höhepunkt der Finanzkrise aus?
Seit der Finanzkrise wird eine extreme Geldpolitik praktiziert. Dies war die richtige Reaktion auf die Krise. Die Wirtschaftslage ist zurzeit gut, aber solange die Geldpolitik nicht normalisiert wird, ist die Krise noch nicht überstanden. Staatsverschuldungen sind ein Problem – zwar nicht in der Schweiz – aber diese haben Auswirkungen auf die Stabilität in der EU-Zone, was die Schweiz insofern wieder indirekt betrifft.

Wird es zu einer nächsten Krise kommen?
Eine weitere schwere Finanzkrise halte ich im Moment für eher weniger wahrscheinlich, denn die Banken sind heute doch deutlich widerstandsfähiger als vor 10 Jahren. Starke Korrekturen auf den Finanzmärken sind aber gut möglich.

VERANSTALTUNGSHINWEIS: ECONOMIC FORECAST 2019

Die Chancen und Risiken für die Schweizer Wirtschaft stehen auch im Zentrum der Veranstaltung «Economic Forecast 2019» von Rochester-Bern Executive Programs. Bei der Paneldiskussion diskutieren Prof. Dr. Aymo Brunetti und Dr. Daniel Kalt, UBS Chief Economist Switzerland and Regional Chief Investment Officer Switzerland, Prognosen für das Wirtschaftsjahr. Die Veranstaltung (auf Englisch) findet am Montag, 21. Januar 2019, um 18 Uhr im Raum A003 der UniS statt. Der Eintrittspreis beträgt 15 Fr.

ZUR PERSON

Aymo Brunetti ist ordentlicher Professor für Wirtschaftspolitik und Regionalökonomie am Departement Volkswirtschaftslehre der Universität Bern. Zudem ist er geschäftsführender Direktor des Center for Regional Economic Development (CRED) an der Universität Bern. Weiter leitet er den vom Bundesrat eingesetzten Beirat zur Zukunft des Finanzplatzes.

Kontakt:

Prof. Dr. Aymo Brunetti
Universität Bern, Volkswirtschaftliches Institut
E-Mail: aymo.brunetti@vwi.unibe.ch

ZUR AUTORIN

Lisa Fankhauser arbeitet als Redaktorin bei der Abteilung Kommunikation & Marketing an der Universität Bern.

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