Damit Wildtiere gesund bleiben

Von der Behandlung einzelner Wildtiere bis zum Aufbau eines Wildtier-Überwachungsprogramms, das europaweit als Vorbild dient: Dies ist nur ein Erfolg des Zentrums für Fisch- und Wildtiermedizin (FIWI) der Universität Bern. Dieses Jahr feierte es sein 20-Jahr-Jubiläum.

Von Nathalie Matter 28. Dezember 2018

Krankheiten von Wildtieren wie Rehen oder Fischen müssen anders diagnostiziert und behandelt werden als bei Nutztieren – so die Überzeugung von Maja Suter, vor über 20 Jahren Direktorin des Instituts für Tierpathologie. Sie regte deshalb an, dafür eine eigene Einheit an der Universität zu schaffen. Mit Unterstützung des Bundes entstand so ein europaweites Novum: Während in anderen Ländern wie Deutschland Fische als Lebensmittel gelten und darum von Gesetzes wegen von Behörden auf Krankheiten untersucht werden, wurde in der Schweiz die Diagnostik der Fische in ein Forschungsumfeld integriert – zuständig: Die Universität Bern. So wurde das FIWI zum nationalen Referenzzentrum zur Diagnose von auszurottenden Fischseuchen, und auch zum Nationalen Kompetenzzentrum für Wildtiere. Neben Fischen werden unter anderem auch Gemsen, Steinböcke oder Rehe auf ihren Gesundheitszustand untersucht, und hier landen auch mal gewilderte Luchse, überfahrene Wölfe oder verstorbene Bären aus dem Bärenpark.

Herzuntersuchung mit tragbarem Ultraschallgerät bei einem Eurasischen Luchs. Bild: A. Ryser, KORA
Herzuntersuchung mit tragbarem Ultraschallgerät bei einem Eurasischen Luchs. Bild: A. Ryser, KORA

Die Luchse managen

Das FIWI hat in seiner zwanzigjährigen Geschichte einige Erfolge vorzuweisen: So trägt es dazu bei, dass die Luchspopulation, die in der Schweiz wiedereingebürgert wurde, gesund bleibt. «Unsere Luchse werden schon nach Deutschland exportiert», sagt Helmut Segner, Direktor des FIWI und Leiter der Abteilung Fische. Doch vorher müssen auch diese Tiere auf ihre Gesundheit untersucht werden. Daher trägt ein Teil der Luchse einen Sender, was nicht unbedingt unserer Vorstellung von Wildtieren entspricht. «Luchse sind eine ‘gemanagte’ Population», erklärt Segner: «Es gibt hier keinen Luchs, wenn er nicht gemanagt wird». Die Krankheitsüberwachung ist eine zentrale Aufgabe des FIWI und betrifft nicht nur Wildtiere – etwa wenn mit einer Krankheit infizierte Wildschweine aus Frankreich einwandern und gesunde Hausschweine anstecken können. Das vom FIWI aufgebaute Wildtierüberwachungsprogramm dient europaweit als Vorbild. Auch das Spektrum der Berner Vetsuisse-Fakultät ist einzigartig: «Mit Fischen, Wildtieren und Bienen sind wir so breit aufgestellt wie niemand sonst in Europa», erklärt Segner.

Um die Fischgesundheit zu untersuchen, werden Bäche von FIWI-Mitarbeitenden abgefischt. Bild: FIWI, Universität Bern.
Um die Fischgesundheit zu untersuchen, werden Bäche von FIWI-Mitarbeitenden abgefischt. Bild: FIWI, Universität Bern.

Klimawandel als Krankheitsfaktor

Das Forschungsfeld des FIWI hat sich in zwanzig Jahren stark verändert: «Früher diagnostizierten und behandelten wir das Einzeltier», sagt Segner. «Heute wissen wir, dass Krankheiten nicht isoliert entstehen, sondern aufgrund von Umweltfaktoren. Wir versuchen diese Umweltfaktoren, die Krankheiten in Fisch- und Wildtierpopulationen ‘treiben’, zu verstehen», so Segner. Dieser Ansatz wird als «Disease Ecology» bezeichnet. Innert zwanzig Jahren wurde so der diagnostische Ansatz immer stärker in einen ökologischen Kontext gestellt. «Ein aktuelles Beispiel ist der Klimawandel», erklärt Segner. «Da sich die Klimabedingungen ändern, können etwa neue Krankheitserreger in die Schweiz einwandern – oder vorhandene Krankheiten können sich in ihrer Ausprägung verändern», sagt er weiter.

So geschehen bei einer an sich harmlosen Krankheit von einheimischen Bachforellen: der sogenannten Proliferativen Nierenkrankheit (PKD). Die Krankheit wird durch einen Parasiten ausgelöst, der gewissermassen schon immer in den Forellen existierte. Wirt und Parasit haben sich gemeinsam entwickelt, wobei der Parasit die Forelle kaum schädigt und diese ihn deshalb auch «toleriert», ohne eine grosse Immunreaktion zu zeigen. Diese Ko-Existenz gilt aber nur bei den Umweltbedingungen, unter denen sich dieses Wirt-Parasit-System entwickelt hat, nämlich bei kalten Gewässern. Forellen fühlen sich bei Wassertemperaturen bis 15 Grad am wohlsten. Durch den Klimawandel haben sich die Temperaturen in Schweizer Gewässern in den letzten zwanzig Jahren jedoch deutlich erhöht: Mit Temperaturen bis zu 25 Grad – wie etwa in diesem Sommer. Das zu warme Wasser beeinflusst direkt das Immunsystem der Forellen und damit ihre Fähigkeit, mit dem Parasiten umzugehen. Die Folge: Grosse Anteile des Forellennachwuchses sterben. «Der Klimawandel bringt ein stabiles System, das sich über Jahrtausende entwickelt hat, aus dem Gleichgewicht – und damit wird PKD als Krankheit erst zu einem Problem», erklärt Segner.

Krankheitserreger werden unter anderem durch den Verzehr von Buschfleisch, wie von Antilopen oder Affen, übertragen. Bild: istock
Krankheitserreger werden unter anderem durch den Verzehr von Buschfleisch, wie von Antilopen oder Affen, übertragen. Bild: istock

Wenn sich der Mensch ansteckt

Warum ist der Gesundheitszustand von Fischen und Wildtieren überhaupt wichtig? «Wildtiere können ein Reservoir für Krankheiten bei Nutztieren sein und umgekehrt», antwortet Segner. Dies gilt auch für den Menschen: 60% der Infektionskrankheiten des Menschen haben ihren Ursprung in Tieren, in sogenannten Zoonosen – etwa die grossen Epidemien aus den letzten Jahrzehnten wie AIDS, Ebola, Vogelgrippe oder das West Nile Fever. Diese Epidemien brechen oft aus, weil sich etwas in der Umwelt ändert, wenn beispielsweise Menschen wegen des Bevölkerungswachstums in neue Gebiete einwandern, wo die Krankheit unter Wildtieren zirkuliert.

Weil Krankheiten nicht isoliert stattfinden, ist auch das FIWI mit seiner Forschung und Lehre entsprechend vernetzt: Es arbeitet unter anderem mit der Nutztierklinik sowie dem Institut für Bienengesundheit zusammen und hat eine Brückenfunktion zwischen der Vetsuisse-Fakultät und dem Institut für Ökologie und Evolution der Philosophisch-naturwissenschaftlichen Fakultät. Dies betrifft Forschung und Lehre: am Masterstudiengang «Ökologie und Evolution» ist das FIWI bereits beteiligt. Künftig wird eine Kooperation mit dem Oeschger-Zentrum für Klimaforschung oder dem Centre for Development and Environment (CDE) angestrebt. «Wir möchten unseren Studierenden vermitteln, dass das Spektrum auch über die fünf Tierarten, die wir meistens behandeln, hinausgeht», sagt Segner. Der FIWI-Direktor weiter: «Wir zeigen ihnen den Umweltaspekt und lassen sie über den Tellerrand blicken – man kann auch Zootierärztin werden oder auf Safari gehen.»

Dem Antarktisfisch auf der Spur: Auf dem deutschen Forschungsschiff «Polarstern» wird ein Fang aus Schleppnetzen sortiert. Bild: FIWI, Universität Bern.
Dem Antarktisfisch auf der Spur: Auf dem deutschen Forschungsschiff «Polarstern» wird ein Fang aus Schleppnetzen sortiert. Bild: FIWI, Universität Bern.

Fischzucht als Zukunftsbereich

Beim Stichwort Safari geht Segner mit bestem Beispiel voran: Er untersucht nicht nur einheimische Fische, sondern geht auch auf Expedition in die Antarktis, um dort eine ganz besondere Art mit mehreren erstaunlichen Eigenschaften zu untersuchen: Einen Fisch, der unter anderem keine roten Blutkörperchen hat, weil er Sauerstoff direkt aus dem sehr sauerstoffreichen Wasser beziehen kann. Er hat also kein rotes, sondern weisses Blut. «Egal ob in eiskaltem Wasser oder in austrocknenden Tümpeln im Death Valley – der Ideenreichtum der Fische, um zu überleben und sich zu reproduzieren, oder mit Krankheitserregern umzugehen, ist faszinierend», sagt Segner. Und Fische gewinnen weltweit an Bedeutung als Nahrungsmittel: Die Fischzucht ist der am stärksten wachsende Bereich in der Tierproduktion und Tierhaltung – in der Schweiz stammen bereits 50% der konsumierten Fische nicht mehr aus Fang, sondern aus der Zucht. Forschung in diesem Bereich hat Zukunft: «Wenn etwa in Entwicklungsländern 10% der Fischproduktion, die wegen Krankheiten vernichtet werden, gerettet werden könnten, hätten dort alle mehr zu essen, und es gäbe mehr Arbeitsmöglichkeiten», erklärt Segner. So wird neben der Tiergesundheit auch das Tierwohl von gezüchteten Fischen ein wichtiger Forschungsbereich am FIWI bleiben. 

 

Über das FIWI

Das Zentrum für Fisch- und Wildtiermedizin der Universität Bern FIWI untersucht den Gesundheitszustand von freilebenden und in menschlicher Obhut gehaltenen Fischen und Wildtieren. So ist es als nationales Referenzlabor für meldepflichtige Fischkrankheiten sowie als nach ISO/IEC 17025 akkreditiertes Labor für infektiöse Krankheiten bei Fischen und Wildtieren tätig. Das FIWI betreibt Forschung zu infektiösen und nicht-infektiösen Krankheiten, wobei seine Forschungsschwerpunkte auf Pathogenese, Ökopathologie sowie Epidemiologie und Monitoring liegen. In der Lehre, Ausbildung und Beratung ist das Verständnis der Wechselwirkungen zwischen Krankheitsgeschehen und Umweltfaktoren zentral. Daher werden in die Beurteilung des Krankheitsgeschehens sowohl veterinärmedizinische Gesichtspunkte als auch ökologische Aspekte mit einbezogen. Das FIWI ist in die Abteilungen Wildtiermedizin und Fische unterteilt und arbeitet mit diversen universitären Einheiten zusammen.

Zur Person

Prof. Dr. Helmut Segner ist Direktor des Zentrums für Fisch- und Wildtiermedizin und leitet die Abteilung Fische.

Kontakt: helmut.segner@vetsuisse.unibe.ch

Zur Autorin

Nathalie Matter arbeitet als Redaktorin bei Media Relations der Universität Bern.

Oben