Ältester Tuberkulosefall der Schweiz nachgewiesen

Bei Ausgrabungen im Jura fanden Archäologinnen und Archäologen menschliche Kochen aus dem Frühmittelalter. Dank Untersuchungen am Institut für Rechtsmedizin IRM an der Uni Bern konnte anhand dieser Funde der älteste Tuberkulosefall der Schweiz nachgewiesen werden.

Mitarbeitende der Archäologischen Dienste Jura staunten nicht schlecht, als beim Aushub einer Baugrube in Courroux Knochen zum Vorschein kamen. Sie wussten um Reste einer gallo-romanischen Villa in der Gegend. Neu war jedoch, dass es in der verlassenen Siedlung ein frühmittelalterliches Gräberfeld gab. Zwei römische Keller hatte man als Grabstätten für Kinder benutzt. 

a: Plan des frühmittelalterlichen Friedhofs in Courroux; b: Mehrere Kinder wurden in ehemaligen römischen Kellern bestattet. © IRM

Gemeinsame Analyse mit Ötzi-Institut

Die geborgenen Knochen gelangten zu Analysezwecken zur Abteilung Anthropologie am Institut für Rechtsmedizin IRM der Universität Bern. Die Abteilung erstellt Gutachten für Staatsanwaltschaften, Polizei und Archäologische Dienste über menschliche Skelettfunde.

Gemeinsam mit Forschenden vom EURAC-Institut für Mumien und den Iceman in Bozen, mit dem die Abteilung Anthropologie eine langjährige Forschungskooperation pflegt, wurde die sogenannte ancient DNA im Labor untersucht. Die Das EURAC beherbergt die Eismumie «Ötzi» und ist auf solche Fälle spezialisiert. Von ancient DNA, also alter DNA, spricht man, wenn DNA aus biologischen Überresten aus früherer Zeit isoliert wird, beispielsweise aus Skeletten aus archäologischen Ausgrabungen oder Mumien.

Die Ergebnisse der Untersuchungen wurden Ende Januar 2016 im Online-Journal «Swiss Medical Weekly» veröffentlicht. Sandra Lösch, Co-Autorin der Studie, sagt: «Wir konnten beweisen, was schon länger vermutet worden war: Tuberkulose gab es in der Schweiz bereits im Frühmittelalter.» 

Das Bild zeigt Sandra Lösch, Leiterin der Abteilung Anthropologie am Institut für Rechtsmedizin der Universität Bern.
Sandra Lösch ist Leiterin der Abteilung Anthropologie am Institut für Rechtsmedizin der Universität Bern. © IRM

Befällt die Tuberkulose das Skelett, kann sie sichtbare Veränderungen der Knochen hinterlassen. Am charakteristischsten ist ein Befall der Wirbelsäule, manchmal mit Zerstörung ganzer Wirbel. Aber auch Rippen und Gelenke können betroffen sein. Der Erreger der Tuberkulose, Mycobakterium tuberculosis, kann via ancient DNA im Knochen nachgewiesen werden.

Anzeichen von Knochentuberkulose: a: Zerstörung mehrerer Wirbelkörper und Buckelbildung; b: Knochenauflösung an einem Wirbel; c: Knochenneubildung an einer Rippe; d: Knochenauflösende Läsionen an mehreren Rippen; e: Knochenauflösender Defekt am Schulterblatt.
Anzeichen von Knochentuberkulose: a: Zerstörung mehrerer Wirbelkörper und Buckelbildung; b: Knochenauflösung an einem Wirbel; c: Knochenneubildung an einer Rippe; d: Knochenauflösende Läsionen an mehreren Rippen; e: Knochenauflösender Defekt am Schulterblatt. © IRM

Wertvolles Wissen, um Ansätze zur Bekämpfung zu finden

Frühere osteologische und biomolekulare Studien an anderen Skelettserien zeigen, dass Tuberkulose zu allen Zeiten auf der ganzen Welt verbreitet war. Auch heute ist Tuberkulose eine der weltweit gefährlichsten Infektionskrankheiten und seit geraumer Zeit wieder auf dem Vormarsch, nachdem die Erkrankungszahlen ab 1850 aufgrund von Verbesserungen im Gesundheitswesen und der Einführung von Antibiotika deutlich zurückgingen. Die Tuberkulose ist in erster Linie eine Lungenkrankheit, kann aber auf alle Organe des Körpers übergreifen. 

Das Bild zeigt Christine Cooper, Erstautorin der veröffentlichten Studie, an ihrem Arbeitsplatz
Christine Cooper, Erstautorin der veröffentlichten Studie, an ihrem Arbeitsplatz. © IRM

Christine Cooper, Erstautorin der soeben veröffentlichten Studie, erklärt: «Können Forscherinnen und Forscher alte Stämme dieser Krankheit nachweisen, vergleichen sie diese mit heutigen Fällen.» Je grösser das Wissen über frühe Formen der Krankheit und ihre Entwicklung über die Jahrtausende sei, desto schneller könnten neue Ansätze zu deren Bekämpfung gefunden werden. Mit diesem frühesten für die Schweiz über DNA nachgewiesenen Fall von Tuberkulose leistet die Universität Bern somit einen wichtigen Beitrag zur Tuberkulose-Forschung. 

Zu den Forscherinnen

Dr. phil. Christine Cooper hat in Zürich Anthropologie, Ur- und Frühgeschichte sowie Paläontologie studiert und in Mainz in Anthropologie promoviert. Nach mehrjähriger Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Medizingeschichte der Uni Bern arbeitet sie heute beim Amt für Kultur / Archäologie des Fürstentums Liechtenstein und als Mitarbeiterin in der Abteilung Anthropologie, Institut für Rechtsmedizin der Uni Bern.

Dr. Sandra Lösch hat Biologie mit Hauptfach Anthropologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) studiert. Seit 2010 ist sie Leiterin der Abteilung Anthropologie am Institut für Rechtsmedizin der Universität Bern, Schweiz. Sandra Lösch betreut SNF-geförderter Projekte über die Menschen der Ur- und Frühgeschichte und des Mittelalters. Ihr Team bearbeitet menschlicher Überreste auf archäologischen Ausgrabungen in verschiedenen Kantonen und international.

Das Institut für Rechtsmedizin (IRM)

Das Institut für Rechtsmedizin (IRM) Bern führt hauptsächlich im Auftrag der Staatsanwaltschaft Untersuchungen durch. Die gewonnenen Erkenntnisse dienen der Rechtspflege und tragen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit bei. Gewisse Dienstleistungen des Instituts können aber auch von anderen Behörden, Spitälern, Ärzten und in Ausnahmefällen von Privatpersonen genutzt werden.
Die einzelnen Abteilungen des IRM verfügen über unterschiedliche Forschungsschwerpunkte. Die Abteilung Anthropologie bearbeitet wissenschaftliche Fragestellungen zur Bevölkerungszusammensetzung, Krankheitsbelastung sowie Ernährung, soziale Stratifizierung und Herkunft von Populationen.

Mehr Informationen
Institut für Rechtsmedizin (IRM)
Institut für Rechtsmedizin (IRM): Anthropologie

Zur Autorin

Brigit Bucher arbeitet als Stv. Leiterin Corporate Communication an der Universität Bern und ist Redaktorin bei «uniaktuell».

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